Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
Landes.«
»Sie überraschen mich immer wieder mit Neuem.«
»Jeder, der sich gründlich mit Gaudís Werk beschäftigt, gerät ins Staunen über die Fülle hermetischer Lehren, die es enthält.«
»Geht es bei den anderen Abbildungen etwa um dasselbe Thema?«
»Aber ja. Einige Detailaufnahmen zeigen das Maul des Salamanders im Park Güell, der das Feuer der Alchemisten symbolisiert, den Balkon des als Casa Batlló bekannten Gebäudes, mit dem Gaudí das kosmische Ei nachgebildet hat, sowie Säulen in Gestalt menschlicher Schienbeine, in Analogie zu Kalziumkarbonat und weißem Marmor. Diesen Stein läuterte das Feuer des Drachen, der den Abschluss der Dachkonstruktion bildet. Wohingegen die eisernen Helme oder Masken am Balkongeländer auf die Templer als Hüter des Geheimnisses verweisen. Andere Bilder zeigen Schnecken als Symbol für die kosmische Spirale, und Frösche als alchemistische Allegorie des für das Leben unerlässlichen Wassers. Schlangen, die sich in den Schwanz beißen, verweisen auf das unter dem Namen Ouroboros bekannte ägyptische Symbol der Alchemie, das für das Ei stand, die prima materia , den Urstoff, der den Kern der Weltseele enthält. Darüber hinaus finden sich Darstellungen von Richtscheit und Winkelmaß sowie geometrische Zeichen … All das sind mit Sicherheit alchemistische Symbole, die sich ohne Weiteres erkennen und zuordnen lassen, wenn man Gaudís Architektur gründlich studiert.«
»Und was ist mit den Bildern, die nichts mit Gaudís Werk zu tun haben?«
»Sie beziehen sich auf andere Bauwerke, deren alchemistische Aussage über jeden Zweifel erhaben ist, und dienen dazu, mathematische Werte einander gegenüberzustellen.«
»Sollen mittels dieser Vergleiche arithmetische Proportionen ermittelt werden?«
»Das wäre möglich«, gab Grau vorsichtig zur Antwort. »Das hier« – dabei nahm er ein Foto vom Tisch und zeigte es Munárriz – »zeigt die sogenannte Hündin von Khorasan an der Pariser Kathedrale Notre Dame. Der Name Khorasan verweist auf eine bis heute unbekannte Stadt oder Person und steht für das schwarze Quecksilber, über das sich die beiden bedeutenden Alchemisten Artephius und Philaletes geäußert haben.«
»Wieso können Sie an einem so kleinen Detail erkennen, was die Aufnahme zeigt?«, fragte Munárriz erstaunt.
»Ich beschäftigte mich seit meinem zwanzigsten Lebensjahr, also seit fünf Jahrzehnten, mit der Alchemie und habe auf der Suche nach Zusammenhängen die ganze Welt durchstreift«, verkündete Grau stolz.
»Ich verstehe …«
»Das da«, fuhr der Architekt fort, »gehört zu einer Hand des heiligen Christophorus in der Kathedrale von Sevilla.«
»Bringt man denn auch den Schutzpatron der Reisenden und Kraftfahrer mit der hermetischen Lehre in Verbindung?«
»Gewiss, mein Freund«, sagte Grau mit einem Lächeln. »Er wurde zum Beschützer der Reisenden, weil man ihn gewöhnlich mit dem Jesuskind auf den Schultern abbildet. In Wahrheit handelt es sich dabei um eine allegorische Darstellung der Alchemie, weshalb auch im Auftrag der Kirche zahlreiche Christophorus-Statuen zerstört worden sind, unter anderem an der Pariser Kathedrale Notre Dame sowie am ganz in ihrer Nähe stehenden Turm der nicht mehr existierenden Kirche Saint Jacques la Boucherie , den wir als Tour St. Jacques kennen, aber auch an der Kathedrale von Auxerre. Erscheint Ihnen das nicht sonderbar?«
»Auf den ersten Blick unbedingt«, räumte Munárriz ein. »Eigentlich nimmt man an, dass die Kirche eine schützende Hand über ihre Jungfrauen und Heiligen hält.«
»Für alles im Leben gibt es eine Erklärung. Der Name Christophorus – ursprünglich hieß er übrigens Offorus – bedeutet Jakob a Voragine zufolge ›Christusträger‹, weil er aus den griechischen Bestandteilen Christos , ›der Gesalbte‹, und phoros , ›der Träger‹, zusammengesetzt ist. Im Laufe der Zeit nahm er im Italienischen die Form Cristoforo an und gewann die Bedeutung ›Goldträger‹. Damit wurde aus dem Namen ein hermetisches Symbol. In den Augen der Alchemisten steht der heilige Christophorus für den Sonnenschwefel, für Jesus oder auch ›das im Entstehen begriffene Gold‹, wie es sich im Destillierkolben bei der Element-Umwandlung heranbildet. Es geht auf Aristoteles zurück, dass illuminierte Handschriften das Quecksilber der Alchemisten grau und violett zeigen – und genau das sind die Farben, welche die Erbauer der Kathedralen für die Bemalung von Abbildern des heiligen
Weitere Kostenlose Bücher