Sag's Nicht Weiter, Liebling
Scham.
»Hallo«, sagt er freundlich.
»Hallo«, bringe ich heraus. »Mr. Harper.«
Na gut, dann erkennt er mich eben. Aber das muss ja nicht heißen, dass er sich an irgendwas erinnert, was ich gesagt habe. Beliebiges Gequassel von einer, die zufällig neben ihm saß. Wer merkt sich so was schon? Vielleicht hat er nicht mal zugehört .
»Und was ist Ihre Aufgabe?«
»Ich, äh, gehe der Marketingabteilung zur Hand und arbeite an der Entwicklung von Werbekonzepten mit«, murmele ich.
»Emma war erst letzte Woche geschäftlich in Glasgow«, wirft Paul ein und grinst mich süffisant an. »Wir legen Wert darauf, auch jungen Mitarbeitern möglichst früh Verantwortung zu übertragen.«
»Das ist klug«, sagt Jack Harper und nickt. Er guckt auf meinem Schreibtisch herum und bleibt an dem Styroporbecher hängen. Dann sieht er auf und guckt mich an. »Wie ist der Kaffee?«, fragt er freundlich. »Schmeckt er?«
Plötzlich höre ich im Kopf wie vom Tonband wieder meine eigene, blöde Stimme plappern.
» Der Kaffee auf der Arbeit ist das Ekelhafteste, was ich je getrunken habe, das reinste Gift … «
»Wunderbar«, sage ich. »Der Kaffee ist … richtig toll.«
»Das freut mich zu hören.« Seine Augen blitzen vergnügt, und ich spüre, wie ich rot werde.
Er erinnert sich. Scheiße. Er erinnert sich.
»Und dies ist Artemis Harrison«, sagt Paul, »eine unserer begabtesten jungen Marketing Executives.«
»Artemis«, sagt Jack nachdenklich. Er geht auf ihren Arbeitsplatz zu. »Einen schönen, großen Schreibtisch haben Sie, Artemis.« Er lächelt sie an. »Neu?«
»… Neulich wurde ein neuer Schreibtisch geliefert, und sie hat ihn sich sofort unter den Nagel gerissen …«
Er weiß alles noch ganz genau. Alles.
O Gott. Was um Himmels willen habe ich sonst noch gesagt?
Ich bin mucksmäuschenstill, während Artemis irgendeine angeberische Antwort gibt, und setze mein freundlichstes Brave-Angestellte-Gesicht auf. Aber mein Gehirn spult hektisch zurück und versucht zu rekonstruieren, was ich alles gesagt habe. Schöner Mist, ich habe diesem Mann alles über mich erzählt. Alles . Ich habe ihm erzählt, was für Unterwäsche ich trage, und welche Eissorte ich am liebsten mag, und wie ich entjungfert wurde, und …
Mir gefriert das Blut.
Mir fällt etwas ein, was ich ihm besser nicht erzählt hätte.
Was ich besser niemandem erzählt hätte.
»… Ich weiß, dass ich das nicht hätte tun dürfen, aber ich wollte die Stelle unbedingt …«
Ich habe ihm erzählt, dass die Eins in meinem Lebenslauf gefälscht war.
Das war’s dann wohl. Ich bin tot.
Er wird mich feuern. Auf meinem Zeugnis wird stehen, dass ich unredlich bin, und niemand wird mich je wieder einstellen, ich werde in einer Fernsehsendung über »Englands schlimmste Jobs« landen, Kuhfladen aufsammeln und gut gelaunt behaupten, »so schlimm ist das gar nicht, ehrlich«.
Luftholen. Keine Panik. Ich muss irgendwas tun können. Mich entschuldigen. Genau. Ich sage, es war ein Fehler, den ich zutiefst bedaure, und es war keineswegs meine Absicht, die Firma zu täuschen, und …
Quatsch. Ich sage einfach: »Doch, natürlich, ich hatte eine Eins, das hatte ich nur vergessen, ich Dummerchen!« Und dann fälsche ich ein ganzes Abschlusszeugnis mit so einem
Kalligraphie-Set. Er ist schließlich Amerikaner, das wird er gar nicht merken.
Nein. Er bekommt es heraus. Ogottogott.
Na ja, vielleicht reagiere ich über. Man muss das Ganze relativieren. Jack Harper ist ein wahnsinnig wichtiger Mann. Das sieht man ja schon. Er hat Limousinen und Lakaien und eine riesige Firma, die jedes Jahr Millionen macht. Da kann es ihm doch egal sein, ob eine seiner Angestellten eine popelige Eins hat oder nicht. Ist doch wahr.
Vor lauter Nervosität lache ich laut auf, und Artemis guckt mich strafend an.
»Ich freue mich wirklich sehr, Sie alle kennen zu lernen«, sagt Jack Harper und sieht sich im stillen Büro um, »und möchte Ihnen meinen Assistenten Sven Petersen vorstellen.« Er deutet auf den blonden Mann. »Ich bleibe ein paar Tage hier und hoffe, dass ich einige von Ihnen etwas besser kennen lernen kann. Sie wissen ja sicher, dass Pete Laidler, der mit mir zusammen die Firma gegründet hat, Engländer war. Aus diesem Grund, aber nicht nur deswegen, hatte dieses Land immer eine besondere Bedeutung für mich.«
Ein wohlwollendes Murmeln geht durch das Büro. Er hebt die Hand, nickt und geht hinaus, gefolgt von Sven und den ganzen Managern. Es herrscht Schweigen,
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