Saigon - Berlin Thriller
außerhalb des Lagers. Es wurde dunkel und Zeit, dass ich das Geziefer einsammelte. Das »Un-« davor hatte dieses kriechende und wimmelnde Getier für mich als Nahrungsmittel verloren. Es war essbar.
Vesuv, Ronald und Fjodor sahen mir angewidert zu.
Meine Beute wusch ich kurz in einer Pfütze aus, nahm sie zwischen zwei dünne Äste, so wie Asiaten aßen, hielt sie kurz über die Flamme meines Feuerzeugs bis sie knisterten und schluckte sie ohne zu kauen.
»Das kann ja wohl nicht wahr sein, dass du das isst«, stöhnte Vesuv.
»Jetzt hätte ich gerne einen doppelten Scotch.« Ronald verdrehte die Augen und rollte sich in die trockenere Ecke unserer Überdachung aus einer Armeeplane.
Fjodor hatte mir zugesehen und nichts gesagt. Er nickte nur. Ich verteilte Zigaretten.
»Du bist bestens für einen Ausbruch vorbereitet«, murmelte der Russe. »Du weißt, wie man sich aus dem Boden ernährt und bekommst sofort Zigaretten von einer Wache. Ich habe euch beobachtet. Ich mache sofort mit.«
Nächster Tag. Gleiche Zeit. Die Mine mit dem freundlich lächelnden gelben Punkt.
Kamikaze hatte sich gewaschen. Er warf mir eine Schachtel Zigaretten zu. Eine Marke, die nur die Amerikaner rauchten.
»Ihr habt Gefangene gemacht?« Eine düstere Ahnung stieg in mir auf. Kamikaze nickte und forderte mich unmissverständlich auf, nicht stehen zu bleiben, sondern ihn auf seinem Rundgang zu begleiten. Ich hier. Er draußen.
»Meine Vorgesetzten werden misstrauisch, wenn ich nur mit dir spreche. Ja. Es sollen einige Dutzend neue Leute kommen. Das Lager wird erweitert. Morgen bekommt ihr Baumaterial. Ihr werdet es errichten. Dann kommt ihr nicht auf dumme Gedanken ... sagt mein Vorgesetzter.«
Ich trabte innerhalb des Stacheldrahts neben ihm her. Fjodor beobachte uns. Vesuv versuchte sich an meiner Methode etwas Essbares zu produzieren. Bald würde mein Feuerzeug leer sein. Dann mussten wir das Geziefer roh essen.
»Kamikaze. Ich muss hier raus«, versuchte ich eine andere Methode. Er war noch ein Kind. Vielleicht fiel er darauf herein. Die Waffe war seine einzige Erfahrung und Stärke. »Deine Schwester bekommt ein Kind von mir. Du wirst Onkel. Ich kann sie nicht allein lassen.«
Kamikaze hielt in seinem Rundgang inne. Lud die Waffe durch.
»So. Meine Schwester bekommt ein Kind von dir.« Einen Moment war er unschlüssig. Nahm das Magazin heraus und überprüfte den Ladezustand. Rastete es wieder ein.
»Dann ersetzt meine Schwester ihr Wasserpuppenspiel durch eine neue Puppe?«
Kamikaze feuerte das Magazin in die Bäume. Andere bewaffnete Kindersoldaten kamen angelaufen.
»Der bekommt die nächsten Tage nichts zu essen«, herrschte er seine Kameraden an. »Ich mache Meldung.«
Von nun an gingen gleich zwei Bewacher Streife um den Stacheldrahtzaun. Und die machten nicht den geringsten Eindruck, dass man sich mit ihnen unterhalten konnte.
Zu spät. Viel zu spät, tobte es in mir. Kamikaze hatte sich dem Widerstand angeschlossen, weil er von seinem Vater in der Familientradition des Wasserpuppenspiels nie ernst genommen worden war. Seine Schwester war ihm vorgezogen worden. Schlimmeres konnte einem jungen Viet nicht passieren. Er war in den Reisfeldern der Mann und Ernährer. Knochenarbeit von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Aber in der künstlerischen Tradition des Clans war er ein Versager. Ein Nichts. Ein Schandfleck, der sich geweigert hatte, diese seit Jahrhunderten in der Familie gewachsene Tradition als nächstes Glied in der Kette weiterzuführen. Meine gekauften Wasserbüffel hatten ihn von allen Verpflichtungen als Mitglied der Familie befreit. Die Vietcong hatten ihm, einem Kind, das Selbstbewusstsein gegeben, das ihm die Familie versagt hatte.
Eine Kalaschnikow gegen einen geschnitzten Drachen.
»Kann es sein, dass du irgendwie Scheiße gebaut hast?«, grollte Fjodor.
»Nein. Wir bauen ab morgen Toiletten. Mehr war nicht rauszuholen«, wehrte ich ab.
»Na, prächtig«, maulte Ronald. »Hochbezahlte Journalisten der Weltpresse bauen Toiletten. Wo bin ich hier nur gelandet?«
»Ist doch klasse«, schimpfte Vesuv, der immer noch mit Würmern über der Flamme kämpfte. Er versuchte sie einfach nur zu versengen, aber nicht zu rösten. »Dann kommen alle Fliegen der Welt, legen ihre Eier hinein und nach wenigen Stunden haben wir Maden ohne Ende und unser Starreporter aus Deutschland macht hier eine Garküche mit dem Zeug auf. Oder ist es nicht so?«
»Du musst den Wurm erst in der Mitte töten. Nicht
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