Sakramentisch (German Edition)
und Derblecken hatten abgenommen.
Mit Weihnachten verhielt es sich nicht anders. So verrückt wie
Ottakring nach Lola war, so scharf war er auf das große Fest. Im September machte
er sich schon Sorgen, weil er nur mehr fünfzehn Wochen für seine Einkäufe und
die Geschenke hatte. Weihnachten war für ihn kein Fest der Stille und der
Besinnung. Es war ein hervorragendes Training für den Winterschlussverkauf. Er
freute sich so auf Weihnachten, dass ihn die bloße Erwähnung eines geschmückten
Christbaums in Verzücken versetzte, in ungeraden Wochen sogar in sexuelle
Erregung.
Wer sich kein o du fröhliches kleines Weihnachtsfest bereitete, wenn
er es sich leisten konnte, der konnte sich ebenso gut gleich die Steilwand
hinunterstürzen. Solche Menschen gehörten entweder den Republikanern an, das
war seine ehrliche Meinung, oder sie gehörten ins Wartezimmer einer der
zweihundertzwölf PsychiaterInnen, die sich in Rosenheim und Umgebung in schnuckeligen
Hütten eingerichtet hatten.
Kein Wunder, dass Ottakring nicht übermäßig viele Freunde hatte.
Doch was scherten ihn Freunde? Er hatte Lola, das genügte.
Der wahre Star der Vorweihnachtszeit für ihn? Bevor die Frage sich
von selbst beantwortet: Haben Sie je Josef, Maria oder das liebe Christkindlein
verkleidet bei Karstadt gesehen, bei OBI oder im
Media Markt oder in einem Autohaus? Wer fragt dort die lieben Kinder nach ihren
Wünschen und verteilt Geschenke? Wer ist so lieb und nimmt sie in den Arm und
setzt sie mit ihrem Popo auf die Handfläche? Na, sehen Sie. Es ist der
Allerhöchste, der Weihnachtsmann. Oder der Nikolaus, wie er in Oberbayern
heißt. Der liebe, gute Niki.
Legenden stehen immer auf wackligen Beinen. Kinder werden
drogenabhängig, weil sie ihren Eltern bei der ersten großen Lüge ihres Lebens
geglaubt haben. Es gäbe ein Christkindlein, das durchs Schlüsselloch spitzt,
haben Mama und Papa mit glänzenden Augen erzählt. Es gäbe da noch den
Weihnachtsmann, der mit fliegenden Rentieren in einem Schlitten aus dem Himmel
durch die Wolken … na, Sie wissen schon. Wie soll ein Kind da je glauben, wenn
es so brutal belogen wurde, dass Drogen gefährlich sind und süchtig machen?
Dass Alkohol und Rauchen abhängig machen können? Alle strengen Warnungen haben
dann die gleiche Glaubwürdigkeit wie solche leichtfertigen Lügen.
Joe Ottakring war einer der ganz wenigen, die sich diesen
Kinderglauben bewahrt hatten. Außerdem, empfand er, war der Nikolaus ein Segen
für die Welt. Wo sonst könnten Studierende, dicke Menschen und Alkoholiker
solch traumhafte Arbeitsstellen bekommen? Wenig Geld, viel Ruhm, das war schon
bei den alten Römern so.
Und nehmen Sie die Sache mit den Weihnachtsliedern! Von Tannenbaum
über Jingle Bells bis zu Rudolph mit der versoffenen Nase. Ottakring ärgerte
sich jedes Jahr darüber, dass die süßen Liedlein erst zu Herbstbeginn in den
Geschäften erklangen. Wenn er erst Vorsitzender des Fanclubs würde, dann würde er
dafür sorgen, dass Weihnachten den Osterhasen ablösen würd, wie sich das
gehörte.
Und so ein Typ wie Joe Ottakring wurde nun ausgerechnet Opfer dieses
ausgekochten Winterdirndlüberfalls kurz vor Weihnachten! Dass ausgerechnet ihm
dieses Glück zuteil wurde! Er hatte die drei Weihnachtsmänner ja anfangs
umarmen wollen, doch kraft Amtes war ihm das strikt untersagt. Stattdessen
hatte er sich im weiteren Verlauf die eine oder andere Einzelheit gemerkt, und
die teilte er Rico Stahl, seinem Nachfolger als Chef der Mordkommission, mit.
Seit Ottakrings Ausscheiden aus dem aktiven Dienst hatte es kein
Tötungsdelikt, kein Kapitalverbrechen mehr gegeben. Sodass der Mordchef aus
Kosteneinsparungsgründen herabsteigen musste von seinem Olymp und sich um so
etwas Banales wie einen Raubüberfall kümmern.
»Warum überfallen die zu dritt ein Dirndlgeschäft?«, sagte Ottakring
und kratzte sich am rauen Kinn. »Und spielen die ganze Palette aus, mit
Handgranate und Sprengstoffgürtel. Das war absolut professionell. Die Dinger
waren als Dummys nicht zu erkennen. Ihre Beute waren ganze
fünfunddreißigtausend Euro, sagt der Gachinger. Und da haben sie schon ein
Wahnsinnsglück gehabt, dass es überhaupt so viel war. Zwölftausend für jeden.
Und wegen dieser lausigen Beute der ganze Aufwand und das Risiko?«
Rico Stahl, wie immer ganz Gentleman im grauen Anzug mit einer
grünen Krawatte, auf der sich kleine weiße Pinguine neckten, verzog den Mund
und nickte. »Es soll ja Menschen geben, die eine
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