Sakramentisch (German Edition)
Hund dabei war?«,
fragte er lauernd.
»Der Hund von vorhin? Sie meinen bei dem Überfall?«
»Freilich. Hat der Gachinger davon erzählt?«
»Nein. Nicht, dass ich wüsste.«
»Ja, was ist das denn für eine Befragung? Der Hund ist in diesem
Fall ein wichtiger Zeuge.«
Rico Stahl hatte die Hände in die Hosentaschen gerammt.
Wahrscheinlich hatte er dort auch die Fäuste geballt.
»Ich höre«, sagte er. Sein Zähneknirschen übertönte das Rauschen des
Bachlaufs.
»Der größere der beiden Weihnachtsmänner …«
»Der, der Sie behandelt hat?«
»Japp. Der kannte den Hund, und der Hund kannte ihn.«
Rico plusterte die Backen auf, als wäre er gerade aus hundert Meter
Wassertiefe aufgetaucht.
»Joschi schlich um ihn herum, wie ein Hund das nur bei jemandem tut,
den er kennt.«
Und zack!, wischte Ottakring ihm noch eine aus. »Das können
natürlich nur Hundefreunde beurteilen.«
In normalem Tonfall fuhr er fort. »Er hat ihm sogar die
Weihnachtsstiefel geleckt. Im Labor werden sie das herausfinden können.«
Dann schwieg Ottakring, steckte die Hände in die Manteltasche und
betrachtete die kommende Mondfinsternis.
»Raus mit der Sprache!«, zischte Rico. »Sie haben doch noch mehr auf
der Pfanne.«
»Nichts von Bedeutung«, sagte Ottakring in einem Ton, als spräche er
über das Laichen von Süßwasserfischen.
»›Aus, Joschi!‹, hat der Große geflüstert, als der Hund ihm die
Stiefel leckte. Also nichts von Bedeutung. ›Aus, Joschi!‹ Er hat nur den Namen
des Hundes gekannt. Ein echter Profi eben.«
Damit ging Ottakring zur Seite, zog sein Handy und tippte Lolas
Nummer ein. Er wollte sich zum Abendessen entschuldigen, denn der Fall würde
ihn bestimmt länger in Anspruch nehmen. Lola musste im Funkhaus sein. Sie
hatten Programmkonferenz, hatte sie ihm gesagt, bevor sie nach München gefahren
war. Lola hatte den Vorsitz, das heißt, sie war unverzichtbar.
Er war trotzdem überrascht, als man ihm sagte, sie sei heute auf
einer Dienstreise. Hatte er etwas überhört oder falsch verstanden? Oder hatte
sie den Tag verwechselt? Konnte sein. Lola war in letzter Zeit etwas konfus.
Hatte sie zu viel Stress im Beruf?
Was haben sie denn beim Fernsehen schon zu tun, dachte er zum
wiederholten Mal. Schon gleich beim Bayerischen Fernsehen. In anderen Sendern
müssen sie einen Dieter Bohlen zähmen, einen Raab einfangen, müssen DSDS -, GZSZ -, Telenovela-,
Seifenoper-, Marienhof-, Bergdoktor- und Lindenstraßenopern auf Vordermann
bringen, Olympiaden und allerhöchste Fußballspiele übertragen und was noch
alles. Beim Bayerischen Dritten aber spielt sich doch alles sozusagen im
Hinterhof ab. Woher also der Stress?
Aber, lieber Ottakring, schimpfte er sich. Wie oft hatte sie ihn
genießen müssen, wenn er wieder einmal Tag und Nacht an einem haarigen Fall zu
knabbern gehabt hatte. Jetzt, nach seiner Pensionierung, musste eben er einmal
Rücksicht auf seine Frau nehmen.
Doch der Stachel des vergangenen Sommers saß tief. Und zwar dort, wo
es am wehesten tat. In der allerallerinnersten Herzkammer.
SECHS
Lola Herrenhaus war das Beste, was Josef Joe Ottakring in
zweiundsechzig Jahren passiert war. Sie waren schon lange ein Paar gewesen,
bevor sie sich entschlossen hatten, zu heiraten und ein gemeinsames Haus zu
bewohnen. Er als Chef der Rosenheimer Mordkommission – des Kommissariats 1
– hatte lange im Rosenheimer Land gelebt, sie als Moderatorin einer eigenen
Leute-Sendung, später als Programmchefin des Bayerischen Fernsehens in München.
Das ewige Pendeln hatte sich bei ihr nie zu einer Leidenschaft entwickelt. Doch
sie liebte ihren Job und ihren Mann.
Lola war eine kluge, schöne und charmante Frau, eine gute Zuhörerin,
und sie hatte zu jeder Zeit interessante und abwechslungsreiche Geschichten auf
Lager. Sie konnte zärtlich sein, anschmiegsam und erotisch, wenn sie in
Stimmung war, und das geschah häufig.
Lola Herrenhaus und Josef Ottakring waren ein attraktives Paar. Ein
kerniger reifer Herr mit einer reizenden, eleganten Frau, zwei Menschen mit
außergewöhnlichen Berufen. Sie fuhren nach München oder Salzburg und gingen ins
Konzert, in die Oper oder ins Theater. Sie besichtigten während einer
dreiwöchigen Reise alle romanischen Kirchen entlang des Camino de Santiago,
nahmen an Weinproben im Burgund teil und machten eine verregnete Fahrradtour
rund um den Müritzsee. Hin und wieder hatten sie sich – aus einer spontanen
Laune heraus – in theatralische Abendgarderobe geworfen, waren
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