Sakramentisch (German Edition)
nächsten Morgen bei Rico Stahl
im Polizeipräsidium einging.
»Herr Stahl, wissen Sie, dass der Herr Kriminalrat in einer
tiefen Krise steckt?«
Artur hatte sich mit vollem Namen gemeldet und wurde gleich zu Rico
Stahl durchgestellt. Er wusste, dass er sich in die Höhle des Löwen begab. Doch
er hatte die ganze Nacht nicht geschlafen und nur an zwei Dinge denken können.
An seinen Herzmuskel und an das Gespräch mit dem Kriminalrat beim Schmiedwirt.
»Herr Ottakring steckt in einer tiefen Weihnachtskrise«, säuselte
Artur in Ricos linkes Telefonohr. »Weihnachten ist vorbei, und er kommt nicht
dazu, seine gesamte Weihnachtspost zu beantworten und sich für das Meer von
Geschenken zu bedanken, das er erhalten hat.«
Ehrlich gesagt, hatte Artur erwartet, dass der Chef der
Mordkommission sofort wieder auflegte oder etwas murmelte wie »Wieso rufen Sie
mich deswegen an?« oder »Wieso gerade Sie?« oder »Was geht mich das an?«.
Doch Artur hörte Rico Stahl schwer atmen und sagen: »Natürlich. Gut,
dass Sie mich deswegen ansprechen. Er kann mit seinem Nachweihnachtsstress
nicht richtig umgehen. Deshalb helfen wir ihm. Wir gehören schließlich alle zur
großen Familie der Kriminalbeamten, auch unsere verdienten Pensionisten. Polizeiarbeit
ist Teamarbeit. Herr Ottakring leidet unter einer schweren posttraumatischen
Belastungsstörung, das sei wie im Lehrbuch, sagt der Polizeipsychologe. Lassen
Sie sich, verehrter Herr, einmal einen Sprengstoffgürtel um den Bauch binden,
von dem Sie nicht wissen, ob er Sie in der nächsten Sekunde in kleinen blutigen
Fetzen an die nächste Wand pappt oder nicht.«
Artur wurde das Gespräch langsam peinlich. Er wollte Ottakring
helfen, brachte mit diesem Anruf aber Rico Stahl in die prekäre Lage, nicht zu wissen,
dass er über den Raubüberfall mit einem der Täter sprach, die er selbst
aufwendig suchte. Das hatte er nicht beabsichtigt.
Eigentlich hatte er die Weihnachtskrise nur als Einleitung benutzt,
um im Gespräch das Thema mit Ottakrings Ehe anzuschneiden. Ottakring hatte es
beim Schmiedwirt nur in ein paar Nebensätzen anklingen lassen. Doch bei Artur
war genügend Feingefühl vorhanden, um die Schwingungen zu empfangen. Ottakring
und seine Lola – das war der eigentliche Grund für Arturs Anruf gewesen.
Er ließ die Absicht fallen. Ottakring hatte ihm nicht gesagt, dass
er in Behandlung eines Polizeipsychologen sei, sonst hätte er wahrscheinlich
gar nicht erst angerufen. Nun aber war alles gut. Rico Stahl wusste Bescheid,
Ottakring war in besten Händen, und Artur konnte sich wieder seinen eigenen
Problemen zuwenden.
Davon gab es reichlich. Seine Krankheit war nur ein Problem, wenn
auch das wichtigste.
Für Hadi war es der Super- GAU .
Artur hatte eine lebensgefährliche Herzerkrankung! Also konnte es passieren,
dass er für das nächste Vorhaben ausfiel. Sollte er es allein mit Werner
versuchen? Es konnte gut gehen, aber es war gegen die Abmachungen. Artur war
der Nutznießer des Projekts, also hatte er auch dabei zu sein.
Artur hatte Angst vor der bitter notwendigen Operation. Hadi
versuchte, ihm diese Angst zu nehmen. Er brauchte den Mann. Die inhorgenta in
München fand von Freitag, dem 25., bis Montag, dem 28. Februar statt.
Werner und er konnten die Recherchen und die Vorbereitungen für den
Überfall übernehmen. Aber das Schmierestehen wie beim ersten Mal und ein
bisschen Einweisung und Training musste Artur schon selbst übernehmen.
Das hieß: so schnell wie möglich unters Messer mit dem Kerl!
Am übernächsten Tag war es so weit. Der Chirurg war nicht nur ein
erfahrener Herzchirurg, sondern auch ein höflicher Mann. Er klopfte seinem
Patienten auf den Bauch, bevor er hereinkam. Dann operierte er Arturs Maschine,
ohne den Motor anzuhalten. Und wieder einmal wunderte er sich, wie viel man aus
einem Menschen herausschneiden konnte, ohne ihn umzubringen.
»Sakramentisch!«, murmelte Artur etwas undeutlich, als er aus der
Narkose erwacht war.
Die Faschingszeit war angebrochen. Sie begann in Rosenheim beim
Rosenball mit dem Schaulaufen der Großkopferten und mit dem TUS -Faschingsball in jedem Dorf. Dann waren die
Betroffenen am nächsten Morgen müde, am Abend wieder tatendurstig und, wenn’s
endlich vorbei war, nach dem Aschermittwoch arbeitsunfähig.
Wäre Ottakring so versessen auf Fasching gewesen wie auf
Weihnachten, wäre er aus dem Stress überhaupt nicht mehr herausgekommen. Sein
Klagelied beim Schmiedwirt, das er dem Artur vorgesungen
Weitere Kostenlose Bücher