Sakramentisch (German Edition)
den
Motor und fuhr los.
»Da ham’S aber Glück ghabt«, sagte zwanzig Minuten später der
Gachinger Wast, »mir schließen nämlich glei.«
Rico wusste das. Deshalb war er jetzt gekommen, nicht erst nach
zwölf.
Lederne Kniebundhose, kariertes Hemd, Hosenträger, Strickjanker mit
kurzen Ärmeln, runder Kopf mit langen, welligen Haaren, Wadlstrümpf und
Stiefel. Der Wast, wie er leibte und lebte.
»Wo ist der Joschi?«, fragte Rico.
Der Wast spitzte die Lippen und pfiff.
Eine halbe Minute später schlappte ein schwermütiger
Schäfermischling aus dem Hintergrund in den Vordergrund, stürzte sich tollkühn
drei Stufen hinab und verharrte wankend im Kassenraum. Mit wedelnden Ohren und
fragendem Blick erwartete er, dass jemand den Hundenotarzt rief.
»Da ist der Joschi«, sagte der Wast nicht ohne Stolz.
»Erklären Sie mir noch einmal, wie das war, als der Größere der
beiden den Hund beim Namen genannt hat.«
»Aber das hab ich doch –«
»Ich weiß. Erklären Sie.«
»Na ja, ich hab das nur so am Rand mitgekriegt. Ich war hinter der
Kasse, und der Typ mit der entsicherten Handgranate ist direkt vor mir
gstanden. Der andere, der Pickel, hat das Schild in die Ladentür gehängt und
ist dann nach vorn gegangen. Ich hab –«
»Wie haben Sie den anderen genannt? Pickel?«
»Genau. Ich hab gesehen, wie der Joschi auf den zugegangen ist und
gscheit mit dem Schwanz gewedelt hat. Ja, und die Stiefel hat er ihm
abgeschleckt. Ich hab mich schon gewundert, denn das macht er bei keinem Fremden
sonst. Darauf hat der Pickel ihm über den Kopf gestrichen und so was wie ›Aus,
Joschi‹ gesagt. Jedenfalls hat der den Namen von meinem Hund gewusst.«
Rico Stahls graublaue Augen wurden hart wie Kieselsteine.
Das Mittagslicht kroch heran wie kalte Milch und erhellte den
halbdunklen, mit vollen Kleiderständern zugestellten Raum.
»Man könnte also sagen, Ihr Hund und der Fremde kannten sich. Das
ist es doch, was Sie mir mitteilen wollen?«
Bejahendes Achselzucken.
»Und noch mal: Wie haben Sie den anderen genannt? Pickel? Warum?«
Der Wast lachte auf. »Die hatten doch beide die gleichen Gesichter.
Rote, pausbäckige Weihnachtsmanngesichter. Nur der Pickel, der hatte auf der
einen Seite einen schwarzen Fleck auf der Backe. Einen Pickel halt. Deshalb hab
ich ihn Pickel getauft. Für mich natürlich nur. Und nur im Stillen.«
Rico stellte es die Haare auf. »Ein schwarzer Fleck. Können Sie
beschreiben, auf welcher Seite sich der befand? Linke oder rechte Backe?«
»Äh … warten Sie …« Der Wast eilte zur Ladentheke, stellte sich so,
wie er beim Überfall gestanden hatte, und sah im Geist den Überfall vor sich.
»Linke Backe, linke Backe! Ganz sicher, ich seh ihn richtig vor
mir.«
Rico Stahl war sehr ernst. Er ging einen Schritt zur Seite, zog sein
Mobiltelefon und tippte eine Kurzwahlnummer.
»Geht in die Asservatenkammer«, flüsterte er hinter vorgehaltener
Hand, »und seht nach, ob eine Maske einen schwarzen Fleck auf der linken Backe
hat. Oder … warten Sie … schauen Sie sicherheitshalber auf beiden Seiten nach.
Nein, bei allen dreien. Ergebnis sofort an mich und exakt festhalten!«
Keine halbe Stunde später saß Rico im Präsidium vor Gesichtern,
die so ausdrucksstark waren wie ein kahler Zwetschgenbaum. Von der offenen Tür
zog es kalt herein.
Der Leiter der Asservatenkammer, ein kleines, kugelrundes Männlein
mit randloser Brille und einer dünnen, vergilbten Strähne, die er hinten über
den kahlen Schädel gekämmt hatte, stand vorn dran und war hundert Prozent in
seinem Element. Er hatte die drei Vollgummimasken über einen flachen Tisch
gelegt, der Größe der Träger nach geordnet.
»Und schauen Sie, kheine dieser Maskhen hat auch nur das
allerkhleinste Fleckherl«, sagte er mit Tiroler Akzent. »Weder links noch
rechts noch …«
Voller Ungeduld wurde er von Rico Stahl unterbrochen. Der hatte es
sich mit dem halben Hintern auf dem Nebentisch bequem gemacht, nachdem er zuvor
die Bügelfalten gerade gezogen hatte.
»Sind Sie sicher, dass da noch nie ein Fleck dran war? Könnte es
vielleicht sein, dass die Masken gesäubert wurden, auch wenn’s nur
versehentlich ist? Wir müssen hundertprozentig sicher sein! Also?«
Das Männlein hielt die vorderste Maske empor. Es schien, als grinste
sie Rico Stahl besonders frech an.
»Das hier ist die von Ihrem Pickhel, wie Sie ihn nennen. Die kam so,
wie sie ist, zu uns. Freundlich, sauber, fast steril.«
Wie in einem Schweinestall, wenn
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