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Sakramentisch (German Edition)

Sakramentisch (German Edition)

Titel: Sakramentisch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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einen Plan zu schmieden, wenn man die Münchner
Schmuckmesse als Plattform für einen Überfall hernehmen möchte?
    Er stellte sich wahrhaftig vor, das Messegelände wäre von zwanzig
Meter hohen Palisadenmauern und Wassergräben umgeben, von Beobachtungstürmen
bewacht und von Flugabwehrstellungen gegen Angriffe aus der Luft geschützt.
Kompanien schwer bewaffneter Sicherheitskräfte würden vierundzwanzig Stunden am
Tag patrouillieren. Doch ein Blick ins Internet genügte. Es handelte sich um
nichts anderes als um eine Messe wie für Heim und Garten, fürs Semmelbacken
oder einen Mopsschönheitswettbewerb. Kauf dir eine Fachbesucherkarte und du
kommst rein.
    Er sah sich die Produkte und die einzelnen Aussteller im Internet
an. Messestände von Edelsteinschleifereien, Schmuckdesignern, von Perlen-,
Uhren- und Juwelenhändlern waren abgebildet. Sie lagen mitten unter und
zwischen anderen Ständen in Halle C1, Gang F, Stand 730 oder
Halle Q 21, Gang X, Stand 2478.
    »Kannst du vergessen«, sagte Werner freundlich. »Du kriegst, selbst
wenn du es schaffst, dir ein paar Handvoll Steine zu greifen, die Ware nur bis
zur nächsten Biegung, dort wo es zu den Toiletten geht. Kannst du vergessen.«
    Wie sonst?
    »Lass mich nachdenken«, sagte Hadi. »Und denk du auch nach. Dann
treffen wir uns wieder.«
    Es war die Woche des Eingriffs. Artur erwies sich als Wunderwerk
der Natur. Am Abend nach der Operation stieg er aus dem Bett. Am zweiten Tag
besuchte er das goldige Everl. Sie lag in der Kinderchirurgie im gleichen
Stockwerk des überübernächsten Hauses, das mit dem Haupthaus über vier
Nebenhäuser verbunden war. Er musste zwei Kilometer zurücklegen, bis er sie auf
die Stirn küssen konnte. Am dritten Tag holte er sich eine Zeitschrift vom
Kiosk zwei Etagen tiefer. Am sechsten Tag wurde er entlassen.
    »Wieso bist du nicht zu Haus?«, fragte er Hadi am Mobiltelefon. »Du
willst doch planen?«
    »Eben«, sagte Hadi. »Deshalb bin ich nicht zu Haus.« Dann erklärte
er Artur in aller Ruhe die Situation.
    »Ich freu mich sehr«, sagte er abschließend, »dass es dir so gut
geht, alter Freund.«
    »Sakramentisch!«, jubelte Artur. »Ich bin dabei.«
    Wenn Hadi etwas aussprach, hatte das gewöhnlich Hand und Fuß,
und man glaubte ihm. Wenn einer wie er verkündete, er verbringe ein paar Tage
auf der Latschenbodenalm im Tirolerischen in zweitausend Metern Höhe, um
nachzudenken, gab es niemanden im Gäu, der das anzweifelte. Wobei die Frage
offenstand, wie man im Winter überhaupt zu so etwas Entlegenem wie der
Latschenbodenalm hoch droben im Wilden Kaiser kommen konnte. Dort, wo’s keinen
Lift, keine Zahnradbahn und keine geführten Skitouren gab. Die perfekte
Unerreichbarkeit.
    Doch statt wie überall verkündet zur Latschenbodenalm zu reisen,
checkte er im Garstigen Bären ein. Der Garstige Bär war ein Tiroler
Viersternehotel mit Whirlpool, Bar und kostenlosem WLAN .
Als Vorbereitung für den nächsten Coup ist’s gar nicht schlecht, dachte er
sich, wenn man schon vorher seine Spuren verwischt. Deshalb unterschrieb er den
Gästezettel auch nicht als Hadi, sondern er nannte sich Chris Brandenburg und
machte sich sechs Jahre jünger.
    Was er Artur und Werner natürlich verschwieg.
    Sein Zimmer lag im ersten Stock, am Ende eines langen, breiten
Korridors. Er holte die Chipkarte aus der Tasche, öffnete die Zimmertür und
knipste das Licht an. Er stellte fest, dass man ihm eines der besten Zimmer des
Hotels gegeben hatte, mit dem Fenster nach Süden zum Bergmassiv auf der
jenseitigen Talseite. Der Hotelhang fiel sanft zu einem Wäldchen ab, das in
eisige Watte gewickelt war, und das Hotel selbst lag so hoch auf dem Hang, dass
der gezackte Horizont über den höchsten Zweigen der Bäume lag. Es war gerade
noch hell genug, um die Horizontlinie zu erkennen. Hadi hatte das Fenster
geöffnet, um die kalte Luft zu atmen, und die langen, blau karierten Vorhänge
flatterten in der abendlichen Brise wie schlecht gesetzte Segel.
    Er machte die Tür zu, ging zum Fenster und schloss es wieder. Das
große, mit viel Holz behaglich ausgestatte Zimmer erinnerte eher an die
Atmosphäre eines Schlafzimmers in einem gepflegten Landhaus als an ein anonymes
Hotelzimmer. Vor einem Kamin standen zwei gemütliche Sessel, auf einem
Beistelltisch ein Fernseher, daneben eine Minibar. Auf dem Kaminsims leuchtete
ihm ein Strauß Blumen entgegen, auf einem der beiden Nachttische neben dem
Kingsize-Bett lockte eine Kristallschale mit

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