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Sakramentisch (German Edition)

Sakramentisch (German Edition)

Titel: Sakramentisch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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diskreten Abstellplatz vor der Rotlichtbar aus,
die, umgeben von einem überdimensionalen Holzzaun, auf dem Seitenparkplatz
eines Gewerbezentrums mit angrenzendem Autohof massenweise Kunden anzog.
Vierundzwanzig Stunden am Tag bei Helligkeit und Dunkelheit standen die Männer
hier ihren Mann. Alles Recken, die vierradgetrieben in ihren kleinen Panzern
zwischen Kitzbühel, Innsbruck und Zermatt über die Hochalpenstraßen kachelten.
Und der Weg von Kitzbühel bis hierher war gar nicht weit. Vielleicht
hundertfünfzig Liter Super Plus für die fünfunddreißig Kilometer.
    Vermutlich kommen so viele Osteuropäer her, weil sie sich in ihrer
Landessprache mit den Mädels unterhalten können, stellte Artur sich vor. Das
war ein Grund, der ihn davon abhielt, es einmal selbst auszuprobieren. Er
sprach kein Russisch, kein Serbisch, er sprach nicht einmal richtig Deutsch. Alles,
was er beherrschte, war Bayerisch. Auch weil er an Bernadette dachte, unterließ
er den Versuch. Nicht aus Rücksichtnahme oder Scham, sondern weil er ihren Atem
selbst aus dem Grab heraus im Genick spürte.
    Trotzdem: Wenn Artur Josef in den Spiegel blickte, stellte er eine
Veränderung fest. Ja, er hatte sich seit Bernadettes Tod verändert.
Erstaunlich, fand er, in der kurzen Zeit war er richtig aufgelebt. Es kam ihm
vor, als seien die Wangen etwas weniger gerötet, die geplatzten Äderchen etwas
weniger sichtbar. Auch die Tränensäcke waren nicht mehr so gedunsen, das ganze
Gesicht wirkte straffer, der ganze Kerl unternehmungslustiger. Und, wie er
fand, jünger.
    Vielleicht, dachte Artur Josef, hat jetzt endlich meine
Glückssträhne begonnen.
    In dieser Stimmung war Artur Josef, und an diesem Abend versuchte
er, wenn auch in begrenztem Umfang, ein neues Leben zu beginnen. Er aß nichts
außer einem dürftigen Salat, dazu trank er eine dünne Gemüsebrühe. Hoffentlich
wird mir davon nicht schlecht, dachte er, der Fleisch und Knödel und Krautsalat
gewöhnt war, dazu ein Bier. Um vorzubeugen, aß er noch eine Tomate.
    Er versuchte, das Positive seiner neuen Situation zu beleuchten.
Kardiomyopathie war kein Todesurteil. Das Leben hatte ihn lediglich gewarnt.
Wenn er allerdings in Zukunft froh weiterleben wollte, musste er ein paar
Änderungen in seinen Gewohnheiten vornehmen.
    Zuerst versuchte er, sich anhand der Diätrezepte, die er gesammelt
hatte, einen Speiseplan für die nächsten Tage aufzustellen.
    Er aß noch eine Tomate, diesmal weniger hastig. Und diesmal ohne
Salz.
    Wenn er sein Auto einfach stehen lassen und alles Mögliche zu Fuß
und in der warmen Jahreszeit mit dem Radl machen würde? Statt am
Sonntagnachmittag vor dem Fernseher zu hocken würde er lange Spaziergänge
machen.
    Na, wie wär das, Artur?
    Als er vom Küchentisch aufstand, wehte ein schwacher Wind durch die
gekippte Balkontür herein. Er schloss die Tür wieder. Stockfinster war es
geworden. Wir schreiben den neunzehnten Februar, dachte er, in ein paar Tagen
bin ich reich (wobei er keine Vorstellung davon hatte, wie reich, und auch noch
nicht wirklich davon, wie der Überfall ablaufen sollte).
    Seine zwei neuen Freunde gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Warum
taten sie das für ihn? Seit er den Schriftsteller beim Leichenschmaus für
Bernadette getroffen hatte, setzte der sich für ihn ein. War das noch normal?
War er in eine Falle geraten? Diente er, ohne es zu wissen, als Werkzeug oder
Spielball für andere?
    Er ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Wischte derweil
den Tisch ab und wartete, bis der Kaffee durchlief.
    Das Telefon schellte. Es war Hadi Yohl.
    »Artur, kannst du mal zu mir kommen? Werner ist auch da. Wir wollen
hören, wie weit du mit dem Fluchtauto bist.«
    Der Februar narrte die Forsythien. Keiner der Alteingesessenen
hatte je solche Wärme in dieser Jahreszeit erlebt. Artur sah es im
Vorüberfahren. Sein linker Scheinwerfer – der rechte war seit Wochen
ausgefallen – tauchte die Büsche in einer Linkskurve in flammendes Gold. Darum
herum war es dunkel.
    Hadi Yohl wohnte in 8c. Es war ein zurückgelegenes Haus mit einer
eigenen Kieseinfahrt und einem ausladenden Giebel wie bei einem Schweizer
Chalet. Sonst aber ganz nett, wobei Artur nicht wusste, ob die Wohnung gemietet
war oder Hadis Eigentum. Nirgendwo brannte Licht.
    Hoffentlich ist er zu Haus, dachte er und drückte auf die Klingel.
Am hölzernen Türrahmen waren scharfe Umrisse und tiefe Löcher zu sehen, die
darauf schließen ließen, dass hier ursprünglich ein schmiedeeiserner

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