Sakramentisch (German Edition)
sprach Hadi warnend aus. »Also seid um Himmels willen
pünktlich, wenn’s losgeht!«
Zum letzten Mal überprüfte Artur die Sachen, die er auf seinem
Ehebett ausgebreitet hatte. Er verglich sie mit der Liste in seiner Hand. Er
hatte nur eine weiße Unterhose an, die sich farblich kaum vom Rest seines
Körpers abhob. Im Radio wurde in Bayern Klassik das Klarinettenkonzert A-Dur
von Mozart übertragen. Ein Stück, das sich Artur Josef Huber seit vielen,
vielen Jahren eingeprägt hatte.
In seinem siebten Lebensjahr hatte er selbst zum ersten Mal eine
Klarinette in die Hand gekriegt und Unterricht bekommen. Da lernte er nicht nur
Volksmusik und Jazz nach Noten zu spielen, auch klassische Stücke waren
darunter. Später im Erwachsenenalter, als sich der Soloklarinettist des
bekannten Inntal-Sextetts die Hand beim Holzmachen absägte, wurde Artur die
Nachfolge übertragen. Mit dem Sextett feierte er nicht nur Erfolge in ganz
Oberbayern, auch Tirol lag ihnen zu Füßen.
Nie würde er vergessen, dass ihm sein Patenonkel, ein Großbauer aus
der Nähe von Bad Feilnbach, zum fünfundzwanzigsten Geburtstag einen Konzertbesuch
im Münchener Herkulessaal schenkte. Igor Gorczycka mit den Münchener
Philharmonikern spielten eben dieses A-Dur Klarinettenkonzert. Er verliebte
sich in die Musik von Mozart, kaufte sich Noten und schaffte es, das Adagio des
zweiten Satzes leidlich gut zu spielen. Wenn er nun genügend Geld hatte und die
Sache mit den Überfällen vorbei war, wollte er dem Everl auch das
Klarinettenspielen beibringen lassen. Er musste eine Träne verdrücken, wenn er
daran dachte, dass sie eines Tages – so wie Sabine Mayer, die Weltmeisterin –
in der Lage sein könnte, mit dem Instrument auf der Bühne aufzutreten.
Frühzeitig schon hatte er bestimmt, dass der langsame Satz des
Konzerts auf seiner Beerdigung von einer CD gespielt werden sollte, wenn es einmal so weit wäre. Im Moment glaubte er im
hintersten Winkel seines Herzens daran, dass es so lang hin gar nicht mehr sein
könnte, denn er hatte starke Herzschmerzen. Wahrscheinlich die Aufregung,
dachte er nachsichtig lächelnd. Doch alle halbe Minute zuckte seine Hand
sakramentisch zur linken Brust. Lieber Gott, lass bloß jetzt nichts passieren,
schoss es ihm durch den Kopf. Das Everl braucht mich. Die hat ja sonst
niemanden.
»Opapa, was machst du?«, rief das Everl aus dem Wohnzimmer, wo sie
mit Würfeln spielte.
»Weißt du doch«, gab Artur zurück. »Ich muss mich umziehen für meine
Arbeit.«
»Was für eine Arbeit ist das?«
Ja, wenn er das wüsste. War es Arbeit, wenn man einen Puff überfiel?
Oder war es Vergnügen?
»Ich treff mich mit Freunden … ach, Everl, das ist zu kompliziert.
Komplizierte Arbeit.«
Er begann, sich der Liste nach anzukleiden. Unauffällig, hatte Hadi
gewünscht. Zum Schluss stopfte er die Restartikel auf dem Bett, nämlich die
Gummihandschuhe und die Nylonmaske, in die schwarze Nylonumhängetasche ohne
Schriftzug, die Werner zusammen mit den Masken besorgt hatte.
»Opapa? Wie lang bist du weg? Muss ich lange fernsehen? Ach nein,
ich glaub ich geh ins Heiabett – Opapa?«
»Ja, Everl, was ist denn noch? Wir haben doch schon alles
besprochen.«
»Opapa! Ich hab dich soooo lieb!«
Das Everl traf ihren Opapa genau im falschen Moment. Er stand
nämlich da, fertig gestiefelt und gespornt, und dachte daran, wie es sich wohl
als unabhängiger, begüterter alleinerziehender Mann mit Enkelin in Irland leben
ließ. Er hatte einmal mit Bernadette in jungen Jahren einen Urlaub dort
verbracht, und dort wollte er immer schon hin. Auswandern, hatte er sich
vorgestellt, wenn er genügend Geld beinand hätte. Bis vor Kurzem war es noch
undenkbar gewesen. Aber jetzt? Das Everl aufs Gymnasium, zweisprachig
aufwachsen (oder dreisprachig? War Irisch eine eigene Sprache?), ein kleines
Häuschen, ein Pferd fürs Everl, ein …
»Opapa? … Ooopapaaa!«
Das Everl kam auf kleinen nackten Füßen ins Schlafzimmer getrippelt.
Den Opapa suchte sie in Augenhöhe oder darüber. Finden tat sie ihn aber
darunter. Er lag nämlich auf dem Fußboden. Obwohl er die Augen offen hatte,
schien er sie nicht zu erkennen.
»Opapa, ich bin’s doch, das Everl.«
Sie kitzelte ihn an der Nase, wie sie es oft tat. Sie schleckte die
Nasenspitze mit der Zungenspitze ab.
Doch der Opapa nieste nicht und lachte nicht.
Der Opapa rührte sich überhaupt nicht.
Nun versteht ein Kind in Everls Alter vom Tod so viel wie ein Krake
vom Skifahren. Das Everl
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