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Sakramentisch (German Edition)

Sakramentisch (German Edition)

Titel: Sakramentisch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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für eine Übung im Survival Camp oder einen
Vierundzwanzigstundenüberlebensmarsch besser geeignet gewesen wäre als für
einen Tag im Büro. Dafür hatte sie auf ihre ausgefallenen Ohrringe verzichtet.
    »Was nörgeln Sie ständig an meiner Kleidung rum?«, fragte sie und
schniefte dabei ein bisschen. Ihre regenbogenfarbene Kunstperlenhalskette
funkelte Rico zornig entgegen. »Finden Sie, dass die gestreiften Tigerpythons
auf dem sumpfigen Grünbraun Ihrer Krawatte Sie zu einem besseren Polizisten
machen?«
    Rico ließ im Stehen die Arme sinken. Sein Blick wurde bleiern. Doch
er warf Chili ein unerschütterliches Lächeln zu. Sie war seine fähigste
Ermittlerin. Und sie lieferte trotz aller Abneigung gegen Bürokratie, die ihr
sonst im Wege stand, die besten und schnellsten Berichte.
    »Warum erklären Sie mir nicht einfach den Grund dafür, dass Sie
glauben, dass der Huawa so eine arme Sau war?«
    Sie hakte die Daumen im Hosenbund ein. Auf einen Gürtel hatte sie
verzichtet.
    »Ehefrau bei einem Autounfall ums Leben gekommen«, begann Chili,
»Tochter Selbstmord … Schwiegersohn Herzinfarkt … Arbeitsstelle verloren.« Sie
betete die gesamte jüngere Geschichte des Artur Josef Huber, genannt Huawa,
schnörkellos herunter.
    Und landete schließlich bei dem Everl.
    »Dieses Everl«, sagte sie abschließend, »ist ein nunmehr
alleinstehendes Enkelkind. Fünf Jahre alt. Gut erzogen. Von jedem, der sie
kennt, super beurteilt. Musikalisch …«
    »Sind wir hier ein Kindergarten?«, sagte Rico. »Wollen Sie auf eine
Kita hinaus?«, ergänzte er zögernd. Er wusste nur verschwommen, was die
Abkürzung bedeutete.
    »Nein. Dafür gibt’s andere Ämter als uns. Aber ich werd mich darum
kümmern, dass das Deandl nicht unter die Räder kommt.«
    Rico mochte es wie kriegerisches Zähnefletschen vorkommen. Doch
tatsächlich lächelte Chili ihn nur breit und entschlossen an.
    »Grüß dich, Everl, ich bin die Chili.«
    Das Everl legte seine kleine Patschhand in Chilis nicht viel
größere. Die andere wischte sie sich an der Jeans ab.
    Sie äugte an Chili empor. »Grüaß di«, sagte das Everl. »Du hast aber
einen komischen Namen. Chili hat der Opapa oft gegessen. Einmal war’s zu viel.
Da war ihm hinterher kotzübel.« Sie entzog Chili die Hand und machte vor, wie
sich der Opapa gefühlt haben musste.
    »Salzstangen essen«, imitierte sie ihn mit geneigtem Kopf und tiefer
Stimme. »Schwarztee dringa. Zwieback kauen. Im schlimmsten Fall nimm
Iberogast.«
    Chili kniete vor dem Kind am Fußboden. Sie schüttelte den Kopf.
Welches Kind kann sich schon Iberogast merken? »Hat der Opapa das Mittel öfter
genommen? War ihm öfter schlecht?«
    »Du bist von der Polizei, gell? Willst du mich aushorchen?«
    »Ja, Everl, ich bin Polizistin. Aushorchen will ich dich aber nicht.
Nur – ein paar Fragen wirst du mir doch beantworten, oder?«
    Das Everl hob – wie Flügelschlagen – beide Arme seitlich an und ließ
sie hörbar wieder sinken. »Freilich. Wenn’s keine Fragen wie im Kindergarten
sind.« Sie zog eine Schnute. »Also frag.«
    »Waren hier öfter fremde Personen in der Wohnung? Hast du da was
bemerkt?«
    »Nein. Der Opapa war immer allein. Hier war niemand.«
    »Oder hat er sich mit jemandem getroffen?«
    Das kleine Mädchen zuckte mit den Schultern und drehte die
Handflächen zur Decke in einer Geste, die offenbar dazu gedacht war, ihr reines
Herz zu illustrieren.
    Chili betrachtete die Kleine mit Belustigung und einem Gefühl großer
Sympathie. »Du weißt bestimmt, dass dein Opa ein armer Mann war, seit deine Oma
tot ist. Hat er mit dir manchmal über Geld gesprochen?«
    »›Everl, mir sind pleite‹, hat er manchmal gesagt. ›Mir ham net amal
die Knete zum Einkaufen‹.«
    Chili musste sich ein Lachen verkneifen. Sie hatte von Sarah schon
gehört, dass das Everl ein ziemlich altkluges Kind sei, dabei aber hellwach.
Sarah war die Tochter der Nachbarin, die von zu Hause aus ein Fernstudium
betrieb und sich offenbar rührend um das Everl kümmerte. Schule, Essen,
Schlafen, die Nachbarn hatten das Kind mit so viel Liebe und Sorgfalt fast
adoptiert, dass sogar die Fürsorge ein Auge zudrückte.
    »Hat er denn auch mal mit dir darüber gesprochen, wie das Leben
weitergehen soll? Für ihn und vor allem für dich? Du weißt doch, ohne Geld kann
man nicht leben.«
    »Klar. Weiß ich. ›Ohne Geld kein Kaugummi‹«, quetschte die Kleine in
tiefer Tonlage hervor. »›Aber keine Angst. Deine Zukunft ist gesichert‹, hat
der

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