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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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den Insekten doch noch Hoffnung für die menschliche Rasse besteht, vor allem für die Japaner.
    Auf alle Fälle bespritzte Conch Shell die Ameisen mit Wasser aus einer Pfütze, während Painted Stick Can o’ Beans hastig davonzerrte. Dann bugsierten sie ihn/sie durch die dunklen Straßen bis zu der Schweißerei, schlugen ein Fenster ein und kletterten hinein.
    Vom Anwerfen des Schweißbrenners bis zur Auswahl der Flussmittel, vom Aneinanderfügen der aufgeplatzten Seiten bis zum Erhitzen der Messinglegierung wusste Boomers verlorene Socke haargenau, was zu tun war – und unter ihrer fachmännischen Anleitung erwies sich Painted Stick als (einigermaßen) geschickt genug, es zu tun.
    Als sie die Enden aneinandergeschweißt hatten, war die Naht in der Dose stabiler, als sie es im fabrikneuen Zustand je gewesen war. Dirty Sock, auf den nicht nur Boomers Stolz, sondern auch seine Tüchtigkeit abgefärbt hatten, bestand darauf, dass sie die Schweißnaht mit der Schmirgelmaschine nachbehandelten und Kerben, Dellen und Beulen bearbeiteten. Diese Operation wurde jedoch bald abgebrochen, weil die Schmirgelmaschine einen Schauer von Funken und Metallsplittern zu sprühen begann, der Spoon zu Tode erschreckte, Dirty Sock in Brand zu stecken drohte und Conch Shell wegen eventuell vorbeikommender Autofahrer in Sorge versetzte.
    So begab sich Can o’ Beans mit einer rauen Hochreliefnarbe, die sich senkrecht über seine/ihre ganze Seite zog, in die Welt hinaus. Die ausgebeulte Dose, umflattert von Fetzen des einstigen Etiketts, bot keinen besonders hübschen Anblick. Aber sie war intakt, gesund, frei – und zusammen mit ihren Kameraden auf dem Weg nach Jerusalem. Wenn Glück mit langem Tageslicht gleichzusetzen wäre, dann wäre Can o’ Beans der einundzwanzigste Juni gewesen.
    «Mr. Sock, lieber Mr. Sock, wie kann ich Ihnen je danken?»
    «Vergessen Sie’s, Professer. Jetzt sind wir quitt.»
     
    Vom ersten Augenblick an, da die Unbelebten durch das auf Straßenhöhe befindliche Gitter ihres neuen Refugiums gespäht und Turn Around Norman entdeckt hatten, beobachteten sie ihn voller Faszination. Von allen menschlichen Wesen, die sie, jeder für sich oder alle zusammen, je gesehen hatten, war er derjenige, der ihnen am meisten ähnelte. Bislang hatten sie weder ein menschliches Wesen gekannt noch sich vorstellen können, das sich nach etwas richtete, was der Objektzeit so nahe kam. Der Mann oder die Frau auf der Straße würden seine Bewegungen, seine im Schneckentempo ausgeführten Pirouetten vielleicht nicht einmal wahrnehmen, doch für die fünf Unbelebten waren sie augenfällig, geläufig und entsprachen obendrein ihrem Zeitgefühl.
    So waren ihnen seine Bewegungen zwar irgendwie vertraut, doch der Straßenkünstler selbst war ein Novum für sie. Er faszinierte sie genauso, wie die belebte Keksdose in den frühen Disney-Trickfilmen einst das Interesse menschlicher Kinogänger erweckt hatte. Es war ein auf den Kopf gestellter Anthropomorphismus. Sehr erfrischend.
    Da sie während ihrer Odyssee durch das Land keinem einzigen Priester und keiner einzigen Priesterin der Göttin begegnet waren und höchstens eine Handvoll Menschen getroffen hatten, die sich offen zu den Werten der Großen Mutter bekannten – also Zuneigung zu, Respekt vor oder Sorge um die Wälder, Flüsse, Wüsten, Sumpfgebiete und den Mond an den Tag legten –, hatten Conch Shell und besonders Painted Stick ihr Vertrauen in die amerikanische Rasse ziemlich verloren. Deshalb stellte Turn Around Norman, obgleich er rein äußerlich nichts mit den wilden alten Zeiten zu tun hatte, eine solche Ausnahme zu dem dar, was sie als zeitgenössische menschliche Regel betrachteten, dass Muschel und Stock ihm die Ehre ihrer täglichen Aufmerksamkeit erwiesen. Die anderen hingegen flippten bei seinem Anblick fast aus: Sie himmelten ihn an wie picklige Schulmädchen einen Rockstar.
    Abgesehen von Seelenverwandtschaft und Unterhaltungswert gab es aber auch ein rein praktisches Interesse an Norman. Die Objekte hatten den äußersten Rand des Kontinents erreicht. Zwischen ihnen und Jerusalem lagen mehr als fünftausend Meilen offener See. Sie konnten sich nicht vorstellen, wie sie ohne fremde Hilfe dem Gewühl von New York City (wo selbst Mitternacht mit weit aufgerissenen Augen dalag) entfliehen und den endlosen Atlantik überqueren sollten. Painted Stick und Conch Shell waren aus der Vergangenheit an menschliche Hilfe gewöhnt, hatten sich stets auf sie verlassen,

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