Salomes siebter Schleier (German Edition)
hat das Glück, übers Meer schippern zu dürfen, erst recht nicht in einem so schmucken Boot. Ich müsste lügen, wenn ich nicht zugeben würde, dass die Art der Unterbringung auf dieser Kreuzfahrt sowohl die maskulinen als auch die femininen Aspekte meiner Natur in Wallung bringt. Doch deswegen brauchen Sie nicht zu erröten. Oder sich Gedanken zu machen. Denken Sie lieber an den Dritten Tempel in Jerusalem und welche Rolle Sie darin spielen werden. Bei mir sitzt die Energie schon viel zu lange im Intellekt fest. Deshalb macht mir ja unsere Kreuzfahrt so einen Heidenspaß.»
Conch Shell antwortete nicht, sondern konzentrierte sich auf den Ansturm der Wellen und darauf, ihren schwankenden Passagier nicht zu verlieren. Girlanden von Meerespflanzen wanden sich um sie wie verwelkte Leis, Krebse brachten ihnen auf ihren Flacheisenfiedeln Ständchen dar, und ganze Schwärme von Alsen schubsten sie mit ihren Nasen vorwärts. Kaum war die Freiheitsstatue außer Sicht, wurden sie von mehreren Frachtern überholt. Und im Laderaum jenes einen, dessen Kielwasser ihnen am meisten zu schaffen machte, versteckt unter einem Haufen exotischem Flitter und Firlefanz, in einer an Randolph Petway III adressierten Kiste, kuschelte sich ein Pärchen mutierter Objekte aneinander, das sie seit langem kannten und liebten.
I & I
Gatten-, liebhaber- und nun auch noch vaterlos wurde Ellen Cherry Ehefrau, Geliebte und Tochter des I & I. Das Personal des Restaurants war buchstäblich verdoppelt worden, und über Nacht fand sie sich wieder einmal auf dem Posten des Managers wieder. Vielleicht hätte sie es vorgezogen, einfache Kellnerin zu bleiben, aber das war unmöglich. Mitte September wurde die Situation beinahe unüberschaubar, und ihre Tüchtigkeit und Energie waren ständig gefragt.
Salome war New Yorks Königin der Nacht. Die Presse fand sie im Vergleich zu den aggressiven, aufgedonnerten, publicitygeilen Schlampen, die sonst um diesen Titel wetteiferten, höchst erfrischend und betete sie an. Doch je mehr über sie geschrieben wurde, desto geheimnisvoller erschien sie, und je größer ihr Geheimnis war, desto mehr Aufmerksamkeit erregte sie. Es war eine revolutionäre Umkehrung der normalen Verhältnisse; die Hippen, die Coolen und die Berühmten entdeckten sie als Letzte. Monatelang widerstanden sie, doch dann schluckten sie einer nach dem anderen, erst einzeln, dann in ganzen Cliquen, ihren Stolz herunter, ließen Nell’s, 6 Bond Street, M.K. und Payday sausen und brachen per Taxi oder Limousine zur United Nations Plaza auf, wo sie sich gedemütigt in die Schlange der Spießer aus den Schlafstädten einreihten und darum bettelten, dass man sie hereinließ. Gelegentlich tauchte echte platinvergoldete Prominenz an der Tür auf und bat um Einlass, doch Abu und Spike bevorzugten niemanden: Wer zuerst kam, wurde bei Isaac & Ishmael’s auch zuerst bedient. Eine einzige Ausnahme gab es, als Abu eines Tages Debra Winger gestattete, die Vorstellung von der Küche aus zu verfolgen, nachdem sie ihm angeboten hatte, dafür beim Abwaschen zu helfen.
In jedem Interview, das sie gewährten, beharrten Abu und Spike darauf, dass die Raison d’être des Restaurants und seiner problematischen Vergangenheit erwähnt werden musste. Die Folge war, dass ihr Experiment in Sachen arabisch-jüdische Freundschaft bekannter wurde, als sie in ihren kühnsten Träumen zu hoffen gewagt hatten. Alle Zeitungsausschnitte und Videobänder wurden gesammelt, pflichtschuldigst kopiert und nach Jerusalem geschickt.
«Ihr braucht nicht sentimental zu werden, wenn ihr über uns schreibt», warnte Abu die Journalisten. «Wir sind eine winzige und leicht verrückte Oase in einer unendlichen Wüste. Wir machen das alles und geben diese Erklärungen ab, weil wir sind, wie wir sind, nicht weil wir glauben, damit den Nahen Osten umkrempeln zu können.»
Und Spike setzte hinzu: «Aber was wir tun, ist wichtig, selbst wenn keiner folgt unserem Beispiel.»
Im späten September erhielt das I & I eine ziemlich bedeutende Auszeichnung für seine humanitäre Gesinnung. Doch es war die junge Bauchtänzerin, es war Salome, die im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. Was New York anging, so war sie das Fleisch und auch die Sauce des I & I, die Sache mit der Brüderlichkeit dagegen nur die obligatorische Verzierung, das Petersiliensträußchen sozusagen.
Ein paar Wochen lang ließ das Restaurant das Orchester auch dienstags, mittwochs und donnerstags auftreten und
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