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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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links nach rechts um eine Achse fundamentaler Wahrheit. Als aus den Träumen seines Bewohners entstandenes Haus ist sie das beste Beispiel für eine Architektur der Phantasie, für eine Logik des Verlangens.
    Sie ist ein zu Kalk erstarrter Schoß, ein Nest mit eigenem Antrieb, und sie überdauert ihren Bewohner, ihren Erbauer, reist allein weiter und erinnert die Vergesslichen dieser Welt an das feuchte Element ihrer Sexualität.
    Zunge einer Seejungfrau. Magengeschwür eines Milchmädchens. Puderdose einer Kurtisane. Moschusduft einer Ballerina. Das rosafarbene Leuchten aus Conch Shells langer, weicher, sanft gekräuselter Spalte erfüllte die ganze Höhle. Es war ein Bonbonrosa, ein tropisches Rosa, vor allem aber ein weibliches Rosa. Ihr Farbton war der einer Vagina, die einen Kaugummi aufbläst.
    Während die drei vergessenen Gegenstände noch Conch Shell bewunderten und sich verwirrt den Kopf darüber zerbrachen, wie sie wohl an dieses trockene Plätzchen geraten war, flog plötzlich Painted Stick aus der Spalte in der Höhlenwand und jagte allen dreien einen höllischen Schreck ein. Conch Shell hatte so elegant aufgesetzt wie ein Fallschirmspringer. Painted Stick dagegen stürzte sich hemmungslos in die Tiefe – so hemmungslos, um genau zu sein, dass er auf ihr landete.
    Doch sie nahm keinen Schaden, denn er fiel auf ihren Rücken, der so rau war wie ihre Vorderseite glatt. Conch Shell war nicht gerade eine mickrige Strandschnecke, sie wog volle fünf Pfund und maß vom Scheitel bis zur Lippenkräuselung achtundzwanzigeinhalb Zentimeter. Ihr Gehäuse war stachelig wie ein mittelalterlicher Streitkolben, und die Spiralreihen, die sich über ihre Schale zogen, waren dick und hart. Es sah fast so aus, als sei sie vorn, um die rosigen und sahnefarbenen Schattierungen der Ritze herum, nackt, während alles andere von einem dunkelbraunen Panzer geschützt war, bei dessen Anblick jeder Ritter vor Neid mit der Rüstung gerasselt hätte.
    Apropos eiserne Smokings, einer der frommen Sprüche, an denen der Truthahn vorbeigekommen war, hatte den Leser aufgefordert, «die Rüstung Gottes» anzulegen. Boomer und Ellen Cherry wussten nicht, dass dies ein von den Kreuzfahrern entlehntes Motto war, obgleich Ellen Cherry schließlich noch lernen sollte, dass es die Kreuzfahrer waren, jene barbarischen, europäischen Ritter, die im Namen unseres Herrn Jesus Christus ihr Bestes getan hatten, um den Nahen Osten in jenen monumentalen, fegefeuergetriebenen Trockner zu werfen, in dem er sich seit Jahrhunderten qualvoll überschlägt.
     
    Painted Stick prallte von Conch Shells Panzer ab und rollte dann bis auf wenige Zentimeter an unser vergessenes Trio heran. «Seien Sie gegrüßt», sagte er, weder um Atem noch um Worte verlegen (obgleich Objekte natürlich nicht in der Manier lebendiger Wesen atmen oder sprechen). «Seien Sie gegrüßt! Ihrem Äußeren nach zu urteilen haben Sie nichts mit dem leidenschaftlichen Fick zu tun, der unseren Schlummer unterbrochen hat.»
    Spoon errötete, und Dirty Sock gluckste in sich hinein. «Es waren Menschen», erklärte Can o’ Beans, «aber sie sind schon weg.»
    «Wie schade», sagte Painted Stick.
    «Wieso?», fragte Dirty Sock, der eher froh war, Boomers Klumpfuß entronnen zu sein.
    «Sie hätten uns dahin gebracht, wo wir hinmüssen», erwiderte Painted Stick.
    «Darauf würde ich nicht wetten», sagte Dirty Sock.
    Aus der Jezabel-Anrufung während der Vereinigung hatte Painted Stick gefolgert, Boomer und Ellen Cherry seien ein Priester und eine Priesterin Astartes gewesen. Painted Stick hatte eigentlich nicht vorgehabt, zu Fuß durch ganz Amerika zu wandern. Er rechnete damit, dass die Anhänger der Göttin Conch Shell und ihn auf Händen an ihren Bestimmungsort tragen würden, so wie es in früheren Zeiten der Brauch gewesen war.
    Als Painted Stick am nächsten Morgen die Gruppe trotz Can o’ Beans Warnungen auf die Landstraße geführt hatte, flüsterte Can o’ Beans, an Conch Shell gewandt: «Ich fürchte, Mr. Stick ist ein wenig naiv.»
    «Nicht naiv», hatte Conch Shell ihn verbessert. «Er hat einfach nicht gelernt, dieselben Dinge zu fürchten wie Sie.»
    I & I

Hysterisch, wie sie war, hatte Mikes Schwester den Stock als «rot» bezeichnet. In Wirklichkeit war seine ursprüngliche Farbe ein starkes, rostrotes Umbra gewesen, doch die Jahrhunderte hatten die Erdpigmente ihrer oxidierenden Kräfte beraubt und nur ein helles, stumpfes Rosa übrig gelassen, der Erinnerung an

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