Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
Vom Netzwerk:
den hereinbrandenden Wellen der Invasoren, ohne sich in der Hektik ihrer Flucht darum zu kümmern, dass der halb verhungerte Jeremias sie gesehen hatte und anfing, von einem Bein aufs andere zu springen. So gelangten sie zum Gipfel des Ölbergs und sahen im kargen Schatten eines kahlgepflückten Obstbaums zu, wie der Tempel zuerst geplündert, dann zerstört und am Schluss in Brand gesetzt wurde. Ganz gleich, ob man ihn nach Salomon oder nach Hiram nennen will, er muss ein eindrucksvolles Bauwerk gewesen sein, dieser Erste Tempel: prächtiger als die kühnsten Träume von Beverley Hills, der Dreh- und Angelpunkt, der Zentralnerv der schicksalsgeschlagenen Nation von Israel, ihr Herz und ihre Seele. Die Babylonier legten ihn in Rekordzeit in Schutt und Asche. Dann zertraten sie die Asche. Kein Stein von ihm ist je gefunden worden.»
    I & I

«Manche Frauen haben Schlafzimmeraugen», sagte Boomer Petway. «Meine hat Schlafzimmerhaar.»
    Er zwinkerte Ellen Cherry zu. Sie standen auf einem Campingplatz irgendwo in North Dakota. Eine kleine Menschenmenge hatte sich staunend um den Airstream-Truthahn versammelt. Einige Zuschauer ließen sich von der eher rituellen Geste ablenken, mit der Ellen Cherry ihre Locken zu bändigen versuchte. Sie saß auf der Türstufe des Airstream und harkte und striegelte mit dem Kamm. Der Kamm war schon ganz verbogen.
    «Bevor es den Kommunisten in die Hände fiel», erklärte Boomer einer Hausfrau mit farblosen Fransen, «war ihr Haar genauso glatt wie Ihres. Der KGB hat es tagelang gefoltert, aber es hielt dicht.»
    «Hielt dicht worüber?», sagte die Hausfrau.
    «Und was ist mit
Ihrem
Haar?», fragte ihr zwölfjähriger Sohn dazwischen.
    Boomer wurde tatsächlich rot. Seine kahle Birne flammte auf wie ein Streichholzkopf. Einen Moment lang wetteiferte sie mit der untergehenden Sonne, die sich im silbernen Rumpf des Truthahns spiegelte.
    Ellen Cherry kicherte. «Er spricht nicht gern über seine Kriegserfahrungen», sagte sie. «Aber ich kann dir versichern, seins hat auch nicht ausgepackt.»
    Boomer drängte sich an ihr vorbei. «Es wird ein bisschen kühl hier draußen», sagte er.
    «Er kriegt einen kalten Kopf», flüsterte Ellen Cherry dem Jungen verschwörerisch zu. Beide lachten, dann folgte sie ihrem Mann ins Innere des Truthahns. Er stand in der Bordküche und stöberte in den Regalen.
    «Was du übers Auspacken gesagt hast, hat mich auf eine Idee gebracht», sagte er und wühlte weiter.
    «Falls du zufällig Lust auf Bohnen hast, ich habe welche eingepackt», sagte sie.
    «Wo?»
    «Sie müssen dadrin sein. Eine Dose Bohnen mit Schweinefleisch, die jahrelang auf meinem Küchenregal gestanden hat. Ich schwöre, ich bin mindestens dreimal damit umgezogen. Ein Typ in Seattle hat sie mir geschenkt, als er seinen Abschluss an der Kunsthochschule gemacht hatte. Davor stand sie jahrelang auf seinem Küchenregal. Die armen Bohnen sind wahrscheinlich so alt, dass du eher die flotte Katharina davon kriegst als Blähungen.»
    «Sie ist nicht da.»
    «Also, ich bin …»
    «Ich weiß, was passiert ist. Wir haben sie in der Höhle vergessen.»
    «Nein.»
    «Doch!»
    «Mitsamt den Bohnen?»
    «Sieht so aus.»
    «Bist du sicher, Boomer?»
    «Hundertpro. Ich hab ein fotografisches Gedächtnis.»
    I & I

Can o’ Beans sah zu, wie die letzten Mandarinenschalen der Abenddämmerung hinter den Bergen in den Abfluss rauschten. Jetzt war es vollkommen dunkel. Es wurde Zeit.
    Als er/sie daran dachte, dass Painted Stick und Conch Shell die einzigen Überlebenden aus dem Großen Tempel von Jerusalem waren, erschienen sie ihm kostbarer und wunderbarer denn je zuvor, und er/sie war noch trauriger, sich von ihnen trennen zu müssen. Zum einen gab es jede Menge unbeantwortete Fragen. Zum anderen stand ihnen ein einzigartiges, in seiner Tragweite gar nicht zu ermessendes Abenteuer bevor, von dem er/sie ausgeschlossen war. Ach ja …
    Trotzdem gab es eine Menge, für das er/sie dankbar sein musste. Was war eine Bohnendose schon anderes als ein Bauer im Konsumspiel? Vom Feld in die Fabrik, vom Laden in den Haushalt, vom Kochtopf auf den Teller; das Schicksal einer Dose Bohnen war ebenso besiegelt wie bedeutungslos. Endstation Schrottplatz oder Müllkippe. Doch er/sie hatte es geschafft, sich von der Masse abzuheben, die Freiheit zu kosten, die für andere von ebenso niederer Herkunft unvorstellbar gewesen wäre. Außerdem, war es denn um das Leben der meisten menschlichen Wesen wirklich besser bestellt?

Weitere Kostenlose Bücher