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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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Wenn Menschen jung waren, wurden sie in Kinderwagen herumbugsiert. Wenn sie alt waren, wurden sie in Rollstühlen herumbugsiert. Dazwischen wurden sie einfach nur herumbugsiert.
    Der dichte Schleier, der ein Wesen vor dem transformierenden, trügerischen Licht der Freiheit, vor der verwirrenden Glut der Selbstbestimmung schützt, dieser Schleier war für Can o’ Beans kurz gelüftet worden. Offenbar ist der Glanz der Freiheit für viele zu viel. Sie geraten in Panik, wenn ein plötzlicher Windstoß den Saum des Vorhangs hebt. Sie kneifen die Augen zusammen und klammern sich bis zum letzten abgebrochenen Nagel an die schützenden Falten sozialer Kontrolle. Einige wenige jedoch, unter ihnen Can o’ Beans, sonnen sich in diesem Glanz. Er wärmt sie an verborgenen und unerwarteten Stellen, die sonst auf ewig dunkel und kalt geblieben wären.
    Natürlich ist der erleuchtete Libertär, wie die sprichwörtliche Motte, die um die Kerze flattert, ständig in Gefahr. Doch ist es nicht besser, vollständig in der Flamme der Freiheit zu verbrennen, als stückweise im eigenen, schwindenden Saft zu schmoren, verklemmt und verklumpt von innen her auszutrocknen? Can o’ Beans dachte so. Raus aus der Kasserolle und ab ins Feuer, lautete das Credo der Dose. Wäre sie nicht eine solche Last für die anderen gewesen, hätte sie sich
trotz
ihrer Behinderung auf den Weg in den Nahen Osten gemacht. So aber …
    Sie bauten aus Espenrinde und Grasschlingen eine Art Schlitten für Can o’ Beans. Painted Stick zog ihn. Wenn ein Stein, ein umgestürzter Baumstamm oder ein steiler Abhang den Weg versperrte, half Conch Shell von hinten nach. Zurückgelehnt, die Wunde dem Mond darbietend, ließ sich die Bohnendose Meile um holprige Meile schleppen, bis das Häuflein von Objekten im Morgengrauen auf einen unkrautüberwucherten Kirchenvorplatz irgendwo am Rand einer Kleinstadt von Wyoming gelangte.
    «Leben Sie wohl, Can o’ Beans. Haben Sie Dank für Ihre weisen Ratschläge bezüglich Ihres bizarren Landes.»
    Painted Stick, so charismatisch, so ursprünglich, so schwer zu durchschauen. Auf Wiedersehen.
    «Möge die Göttin über Ihr Schicksal wachen, liebes edles Gefäß.»
    Conch Shell, liebreizende Sirene, stets fürsorglich, charmant und voller Zuversicht. Auf Wiedersehen.
    «Halten Sie die Ohren steif, Professer.»
    Ich werd’s versuchen, Sie grober Klotz. Mögen Sie sich inzwischen Ihre Offenheit und Dreistigkeit bewahren. Auf Wiedersehen.
    «Buu-huu-huu.»
    Aber, aber, wer wird denn da sentimental werden? Auf Wiedersehen, Miss Spoon.
    Da Painted Stick die Absicht hatte, seine Gruppe noch vor Tagesanbruch aus dem Dorf hinauszuführen, war der Abschied kurz. Aus dem Unkraut neben der weiß getünchten kleinen Kirche, wo sie Can o’ Beans abgesetzt hatten, sah er/sie zu, wie seine/ihre bisherigen Reisegefährten davonholperten, -stolperten und -polterten, bis sie einer nach dem anderen – Spoon, nach einem tränenverhangenen Blick über die Schulter, zuletzt – in einem Graben verschwunden waren. Hier rauschte das Tauwasser aus den Bergen herab und in seinem Gefolge schmutziges Zeitungspapier, Teile von Autoreifen und Bierdosen, so leer, wie die Bohnendose sicher auch bald sein würde, doch die kleinen Pilger ließen sich davon mitreißen, als sei es die Straße zur himmlischen Herrlichkeit.
    O wundersam sind die Wege nach Jerusalem!
    I & I

«Wir kommen wegen des Wunders, Bud», sagte Verlin.
    «Der Herr sei mit euch. Kommt rein!» Buddy Winkler war so geschmeichelt, dass er seinen Ständer ebenso schnell vergaß, wie er ihn zuvor bemerkt hatte.
    «Jawohl, Sir», fiel Patsy ein und beäugte seinen ausgebeulten Hosenschlitz, verzichtete jedoch auf einen Kommentar. «Ich schätze, du hast von dem Wunder gehört?»
    Buddys Augen verengten sich vor Enttäuschung und Misstrauen. «Wovon redet ihr? Was für ’n Wunder? Wo?»
    «Eine Heimsuchung», erklärte Verlin. «Irgendwo an der Straße nach Chesterfield.»
    Buddy Winkler war zwischen widerstreitenden Gefühlen hin- und hergerissen. Einerseits erregte und beflügelte ihn der Gedanke an ein leibhaftiges Wunder gleich hier vor seiner Haustür. Andererseits beunruhigte ihn die Vorstellung, dass diese angebliche Heimsuchung seiner eigenen Vision – und der Mission, die sich daraus ergeben hatte – die Show stehlen könnte. Er hoffte, dass Verlin und Patsy, seine Gemeinde und, wenn Sparrow Network zustimmte, auch seine Radiohörer diese Mission bald mit ihren persönlichen

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