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SALVA (Sturmflut) (German Edition)

SALVA (Sturmflut) (German Edition)

Titel: SALVA (Sturmflut) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Suslik
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Erschöpfung war einfach zu groß. Ich
schlief ein und schreckte wieder hoch, als ich das kratzen von Stuhlbeinen auf
dem Betonboden hörte. Jemand hatte sich an meinen Tisch gesetzt. Langsam hob
ich den Kopf und sah in das Gesicht einer jungen Frau, ungefähr in meinem   Alter. Sie hatte ihre Hände auf einer
Schachtel Versorgungsnahrung und ein paar Strähnen ihrer dunklen, fast
schwarzen Haare, hingen ihr vor den Augen. Für einen Moment hatte ich das
Gefühl, in das Gesicht einer Puppe zu schauen. Ihre Augen waren ungewöhnlich
groß und dunkel und ihre Lippen unglaublich rot. Ich starrte ihren Mund an um
sicher zu gehen, dass sie keinen Lippenstift trug. Ich war mir nicht sicher.
Ich hatte nie irgendwelche Kosmetik besessen und meine Mutter hatte ihre nur
sehr selten benutzt, denn sie war extrem teuer. Konnte sich jemand aus Novi
Lippenstift leisten? Meine Gedanken waren absurd, aber ich konnte sie nicht
mehr richtig steuern. Es bereitete mir schon Schwierigkeiten meinen Blick zu
fokussieren.
             „Hi du, alles in Ordnung?“ Ihre Stimme
war hell und klar. Ich war verblüfft, wie perfekt ihre Stimme zu ihrer
Erscheinung passte. Ich brauchte einen Moment um zu realisieren, dass sie mich
gerade angesprochen hatte.
             „Ja, alles okay. Ich bin nur etwas
müde.“ Es war grenzenlos übertrieben und vermutlich sah man mir das auch an.
             „Es geht mich vielleicht nichts an,
aber warum gehst du nicht nach Hause? Es ist nicht gerade ungefährlich an so
einem Ort einzuschlafen.“ Ein warmes Lächeln wuchs auf ihrem Gesicht, während
sie sich die nassen Strähnen aus dem Gesicht wischte.
             „Ich kann nicht nach Hause.“ Ich sah
wieder nach draußen und überlegte. Machte es einen Sinn sie nach Salva zu
fragen. Ich schaute mich um und sah die Kamera in der Ecke des Raumes.
Vermutlich wusste sie nichts und wenn, dann würde sie mir nichts sagen. Aber
wenn doch? Ich spürte einen kurzen Stich, als ich realisierte, dass ich sofort
bereit war das Leben einer Fremden gegen das von Ihsan zu tauschen. Ich hatte
sowieso keine Wahl. Würde ich Salva finden, müsste ich ihn verraten und alle
die mit ihm zu tun hatten. Ich hasste mich nur dafür, wie wenig Mühe es mich
kostete. Ich wollte mich damit beruhigen, dass es schließlich um das Leben
meines besten Freundes ging, aber diese Menschen hatten mir nichts getan. Im
Grunde teilten sie sogar all meine Wünsche und Hoffnungen. In diesem Moment
hasste ich mich.
             „Ich bin übrigens Anna.“
             „Ludmilla.“
             „Abgehauen?“ Ich brauchte ein paar
Sekunden um den Faden wiederzufinden. Noch immer lief mein Verstand auf
Stand-by und alle Gedanken flogen durcheinander.
             „Nein.“ Ich wollte mehr sagen, wusste
aber nicht, wie ich meine Situation sinnvoll erklären sollte. Ich konnte nur
lügen aber spontan viel mir nichts ein.
             „Ich weiß, ich bin eine Fremde und es
geht mich nichts an. Richtig?“ Sie lächelte immer noch.
             „Nein. Ja. Ich suche jemanden.“ Ich
beschloss es zu versuchen. Mir lief die Zeit davon und ich hatte nicht viele
Optionen. Ich war furchtbar.
             „Ich vermute mal, dass ich dir nicht
groß weiter helfen kann, aber wen suchst du?“ Ich kämpfte mit mir und
überlegte, wie ich am besten fragen sollte. Jede Möglichkeit, sich langsam an
das Thema heranzutasten erschien mir lächerlich, also entschied ich mich für
den direkten Weg.
             „Ich suche Salva.“ Für einen Moment
herrschte Stille zwischen uns und ich hatte das Gefühl, sie könnte etwas
wissen. Sie sah mich nur an und mir drängten sich wieder die Bilder der
hysterischen Frau auf der Straße auf. Ich wollte nicht, das Ihsan sterben
musste. Ich wollte aber auch keinen anderen Menschen ans Messer liefern. Ich
hasste mich, aber vor allem hasste ich es, dass man so etwas von mir verlangte.
Es war nicht richtig, es vergiftete meine Gedanken und stand im Gegensatz zu
allem, woran ich glaubte. Alles woran mein Vater geglaubt und wofür er sich
eingesetzt hatte. „Ich muss gehen.“ Bevor mir Anna eine Antwort geben konnte,
stand ich auf und verließ den Automatenladen. Innerlich bat ich Ihsan tausend
Mal um Verzeihung. Vielleicht war es egoistisch von mir, vielleicht war es das
Gegenteil davon. Ich war nicht in der Lage, meine Gefühle und Gedanken zu
sortieren. In diesem Moment wollte ich es auch nicht.

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