SALVA (Sturmflut) (German Edition)
können, um die Verantwortung dafür zu
übernehmen. Es gab nur den Weg nach vorne. Eine harte Zeit würde auf mich
zukommen. Ich sagte es mir selbst immer wieder, wie ein Mantra um mich darauf
vorzubereiten. Nach einer Weile schlief ich ein und träumte von
furchteinflößenden und dunklen Orten außerhalb von Europa. Verbrannte Felder
und riesige Städte, in denen die Sonne nicht mehr schien. Menschen mit leeren,
leblosen Gesichtern und blutigem Stacheldraht. Eine Welt, wie nach dem Krieg.
Grausam und freudlos. Ein seltsamer Nebel lag über allem und die Wege führten
alle ins Nichts.
7
Es
war mitten in der Nacht, als ich wieder aufwachte. Ich stieg aus meinem Bett,
öffnete vorsichtig die Tür meines Zimmers und hörte Geräusche aus einem anderen
Teil des Hauses. Es klang, als wäre irgendwo ein Fernseher an. Barfuß ging ich
den Gang runter und folgte den Geräuschen. Ich fand Aljoscha im Wohnzimmer. Er
saß auf dem Sofa, mit einer Flasche Wein in seiner Hand und starrte vor sich
hin. Es wirkte, als wäre er in Gedanken; eingefroren in einer Bewegung. Ich sah
zum Fernseher, doch da lief nur die Wiederholung eines alten Spielfilms. Ein
Krimi, den vermutlich jeder schon ein Dutzend Mal gesehen hatte. Er war nicht
besonders gut, aber lustig und wirklich leicht zu verstehen. Die typisch
europäische Familienunterhaltung. Selbst bei Krimis. Die nächste Szene des
Films war berühmt und einfach komisch, weil sie wirklich schlecht war und ich
konnte mir ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. Auf dem Tisch brannten ein
paar Teelichter. Es gab dem Raum eine gewisse Wärme, die ich selbst von meinem
Zuhause nicht gewohnt war. Kerzen waren, wie so vieles, einfach ein teurer
Luxus. Überhaupt, fühlte ich mich in diesem Haus einfach wohl. In der Nacht war
ringsum nur Dunkelheit und Stille, doch das machte mir keine Angst. Es war
friedlich. Dieses kleine Haus war eine Oase auf dem Land. Fern von der Staat
und dem grauen Beton. Jede Wand war in warmen Farben gestrichen und die Zimmer
waren klein und gemütlich. Hier umgab mich so etwas wie Geborgenheit. Es war
komisch, doch genauso fühlte es sich an.
Ich
sah wieder zu Aljoscha und erschrak, als sein Blick plötzlich auf mich
gerichtet war. Ich konnte einen kleinen Aufschrei nicht unterdrücken und er
fing an zu lachen. Zum zweiten Mal heute, lief ich rot an. War ihm nicht
bewusst, wie unheimlich so etwas wirkte? Er streckte die Hand zu mir aus.
„Komm, setzt dich zu mir.“ Ich zögerte
kurz, schloss dann aber die Tür hinter mir und setzte mich zu ihm. Es wäre
albern, jetzt beleidigt zu sein, weil ich so schreckhaft war. Vielleicht würde
er auch etwas gesprächiger werden, wenn ich etwas gelöster und damit auch
kooperativer auf ihn wirkte. Sein Vertrauen gegen mein Vertrauen.
„Wo ist Anna?“
„Im Bett und genießt ihren
Schönheitsschlaf. Willst du ein Glas Wein?“ Er hob die Flasche ein Stück und
ich fragte mich, ob er betrunken war. Er sah zumindest nicht so aus, doch in
der Flasche war nicht mehr viel drin.
„Sollte ich schon Alkohol trinken?“ Ich
fühlte mich immer noch schwach.
„Was soll das für eine Frage sein? Du
bist doch schon über Achtzehn oder?“ Er lachte wieder und diesmal konnte ich
nicht anders, als mich angegriffen zu fühlen.
„Ich meine, wegen meines körperlichen
Zustandes.“ Mein Tonfall war hart. Nur weiter so Milla! Projekt: Vertrauen
schwankt schon nach wenigen Sekunden, wegen fehlender Nerven.
„Bist du schwanger?“ Er lachte wieder
und ich beschloss, dass ich diesen Schwachsinn nicht mit einer Antwort würdigen
musste. Projekt: Vertrauen, gescheitert an fehlendem Durchhaltevermögen. Ich
stand auf, doch Aljoscha packte meine Hand und zog mich wieder auf das Sofa.
Ich riss meine Hand los und sah ihn wütend an. Ich konnte mein Verhalten selbst
nicht genau erklären. Warum war ich auf einmal so emotional? Sonst fuhr ich
wegen solcher Scherze auch nicht so schnell aus der Haut. Ich wirkte auf mich
selbst völlig überreizt. Meine ganze Situation überforderte mich und ich hatte
irgendwie meine eigene Mitte verloren. Es tat mir augenblicklich leid, aber ich
konnte es nicht einmal zeigen.
„Es tut mir Leid. Ich hab nur ein
bisschen Spaß gemacht. Wirklich, Entschuldigung. Dir geht es gut, glaub mir.
Trink ein Glas.“ Er nahm das unbenutzte Glas vom Tisch,
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