SALVA (Sturmflut) (German Edition)
klangen nicht aufgesetzt, sondern absolut ehrlich. Er
meinte es so und ich war ihm dankbar dafür. Ich wusste, er würde alles tun um
zu seinem Wort zu stehen. Immerhin hatte er sich dafür bereits in Gefahr
begeben.
„Wie hast du es geschafft der
stellvertretende Leiter der Schutztruppen zu werden?“ Er sah mich wieder mit
großen Augen an. Vermutlich hatte er nicht mit dieser Auswahl an Fragen
gerechnet. Wieder fing er an zu lachen.
„Was soll ich sagen, ich bin halt ein
schlauer Junge!“ Ich war schon bereit weiter nachzuhaken, da fing er wieder an
zu reden „Ich habe bloß Anweisungen befolgt. Ich habe mich freiwillig zu den
Schutztruppen begeben, bin eine harte Linie gefahren und schon nach kurzer
Zeit: Peng! Hatte ich den Posten. Alles lief nach Plan.“ Er sah mich wieder an
und ich merkte, dass ich mich an meinem Glas festklammerte, also nahm ich noch
einen kleinen Schluck.
„Kennst du einen Radu Eldan?“ Ich
versuchte ganz gelassen zu wirken, während ich seinen Namen aussprach, doch es
gelang mir nicht so recht.
„... Da klingelt nichts bei mir. Ist er
bei den Schutztruppen?“
„Ja.“ Meine Stimme klang gequälter als
ich es ihr erlauben wollte, doch ich hatte mit einem Mal keine richtige
Kontrolle über meine Emotionen. Schon wieder. Ich war immer noch aufgewühlt
durch alles, was geschehen war und ich versuchte es einfach runter zu schlucken.
So wie immer.
„Dein Freund?“ Seine rechte Augenbraue
wanderte ein Stück nach oben.
„Nein. Stiefbruder.“ Diesmal klang
meine Stimme schon solider.
„Tut mir leid, ich kenne nicht jeden
persönlich, aber wenn du willst, behalte ich ihn im Auge.“
„Das wäre wirklich sehr nett.“ Wir
schwiegen beide für eine Weile. Ich sah zum Fernseher. Der Krimi wurde
unterbrochen und es liefen die wichtigsten Nachrichten des Tages. Ich sah die
Bilder, aber achtete nicht wirklich auf die Informationen. Ich dachte darüber nach,
was ich sagen könnte. Ich hatte so viele Frage noch nicht gestellt.
„Wie genau wird das ablaufen? Ich
meine, wie werde ich Europa verlassen?“
„Erst mal bekommst du einen neuen Chip.
Damit du reisen kannst, brauchst du ja eine Identität. Dann fahren wir mit dem
Zug so nah an die Grenze, wie es uns möglich ist. Das letzte Stück werden wir
dann zu Fuß zurücklegen. Das wird der schwierigste und auch gefährlichste
Teil.“ Gefährlich. Ich konnte mir in meinem Kopf nur vage vorstellen, was
Aljoscha damit meinte. Ich kannte 'Krieg'nur aus Geschichtsbüchern. Ich
hatte keine Ahnung, wie nah diese Bilder an der heutigen Realität lagen und wie
es wohl in den Grenzgebieten aussah. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dort
wirklich Kämpfe stattfanden. Wenn es wirklich so wäre, wie konnte die Regierung
das so lange geheim halten?
„Wird man auf uns schießen?“ Ich musste
wieder an Ihsan denken und schloss die Augen um die Bilder abzuschütteln.
„Vielleicht. Ich würde es jedenfalls
nicht ausschließen.“ Ich riss die Augen wieder auf, als Aljoscha meine Schulter
für einen kurzen Moment drückte. Ich sah ihn entgeistert an und er fing
abermals zu lachen. Scheinbar war ich sehr unterhaltsam für ihn und ich wusste
nicht einmal genau wieso. Langsam verlor ich jedes Selbstvertrauen in seiner
Nähe und ich konnte es nur schwer ertragen. Allein bei dem Gedanken, in welchen
miserablen Zuständen er mich bereits gesehen hatte, wurde mir ganz anders. Wie
sollte ich mich verhalten, wenn eine fremde Person schon so viel von mir
kannte. Ich fühlte mich schutzlos. „Du musst keine Angst haben, ich passe schon
auf dich auf.“ Dieser Satz von ihm gab mir wieder etwas Selbstvertrauen. Er
dachte, ich hätte Angst. Er wusste nicht, woran ich wirklich dachte.
„Wann geht es los?“
„Mal sehen, wie schnell du dich
erholst. Ich denk, in drei bis vier Tagen. Du scheinst schon ziemlich fit zu
sein.“ Er sah mich nachdenklich an und ich versuchte nicht daran zu denken,
dass er mich heute halb nackt gesehen hatte. Ich stellte das Glas auf den Tisch
und zwang mich dazu, ihn anzusehen. Ich wollte nicht wie ein verlegenes Mädchen
wirken.
„Ich will jetzt wissen, was sie mit den
Gefangenen machen. Was ist in diesen Städten?“ Ich war völlig konzentriert
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