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SALVA (Sturmflut) (German Edition)

SALVA (Sturmflut) (German Edition)

Titel: SALVA (Sturmflut) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Suslik
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beantworten. Ich entschied nicht mehr danach zu fragen. Der Gedanke,
mich bald von ihr zu verabschieden und sie dann vielleicht nie wieder zu sehen,
machte mich tatsächlich etwas traurig. Es war schwer für mich weibliche
Bezugspersonen zu finden und sie war in kurzer Zeit die wichtigste geworden.
    An
einem Abend fand ich sie mal wieder in der Küche. Sie saß am Tisch und
umklammerte mit beiden Händen eine Tasse mit heißem Tee. Es war nicht wirklich
Tee, wie man ihn damals trank. Eher ein Teeersatz, mit künstlichem Koffein,
aber es erfüllte seinen Zweck. Vor allem, wenn man echten Tee nur aus Erzählungen
kannte. Sie sah auf und lächelte mich an. Ich setzte mich zu ihr und wollte ein
Gespräch anfangen, nur fehlte mir der Anfang. Anna kam mir zuvor.
             „Willst du auch etwas Warmes zu
trinken?“ Ich schüttelte nur den Kopf. Für eine Weile herrschte wieder
Schweigen zwischen uns. Ich beschloss mit meinem „Aljoscha-Schweigegelübde“zu
brechen.
             „Ist Aljoscha immer so fröhlich oder
ist das nur Fassade?“ Es war eigentlich eine dumme Frage. Ich konnte mir nicht
vorstellen, dass Anna irgendetwas Schlechtes über ihn sagen würde. Sie blickte
für einen Moment an die Decke und nahm sich Zeit für die Antwort. Als sie
langsam anfing zu lächeln, formten sich kleine Grübchen auf ihren Wangen, die
mir vorher noch nicht aufgefallen waren.
             „Ja.“ Sie lachte kurz. Es war ein
sanftes, leises Lachen. Ich verstand nicht, was sie mir mit dieser Antwort
sagen wollte, doch bevor ich nachfragen konnte, sprach sie weiter. „Er ist
eigentlich immer so. Er kann schon ernst sein, aber er bewahrt sich stets seine
positive Einstellung.“
             „Wieso?“ Ich wusste, dass es komisch
klang. Anna kannte mich mittlerweile gut genug, um diese Frage zu verstehen.
Mein Leben kannte keinen Optimismus.
             „Das kann ich dir auch nicht sagen. Es
ist einfach so, schätze ich. Manche Menschen tragen so ein Strahlen in sich und
er gehört dazu. Es ist ein Teil seiner Persönlichkeit.“ Ich sah sie für eine
Weile an, um zu sehen, ob es die Wahrheit war. Sie verzog keine Miene, wirkte
sogar wie in Gedanken versunken. Ich war mir nicht sicher, aber ihr Blick bekam
etwas Trauriges.
             „Was ist mit dir?“ Wir hatten so viel
geredet, doch im Grunde kannte ich Anna noch immer nicht wirklich. Ich wollte
auch sie verstehen lernen.
             „Ob ich eine Optimistin bin?
...Eigentlich nicht. Ich bin auch oft verzweifelt. Es gab sogar mal eine Zeit
in meinem Leben, da hatte ich das Gefühl, nichts mehr schaffen zu können.
Nichts machte mehr Sinn für mich. Ich gab mir selbst an allem die Schuld, was
in meinem Leben und um mich herum schief lief. So was kann erdrückend sein.“
Ich nickte nur langsam. Auch ich kannte die Last der Schuld. Manchmal lud ich
sie mir auf, selbst wenn ich nicht genau wusste, ob ich sie zu tragen hatte.
Ich spürte einfach diesen tiefen Drang gut zu sein. Moralisch zu sein.
Ich wollte damit das Erbe meines Vaters antreten. Hätte er mich heute sehen
können, er hätte es vermutlich nie gut geheißen. Ich war auf den Weg zur
Märtyrerin und das hatte für mich nichts Heldenhaftes. Es machte mir Angst.
             „Was hat sich geändert?“ Ich sah sie
an, doch sie starrte nach wie vor in die Ferne.
             „Ich habe erkannt, dass es unzählige
Menschen gibt, die ein viel schwereres Los gezogen haben und trotzdem nicht die
Hoffnung verlieren.“ Wieder herrschte Stille. „Manche von ihnen haben es nicht
nur schwer, auf ihren Schultern lastet sehr viel Verantwortung und sie bekommen
nicht das kleinste bisschen Respekt oder gar Anerkennung dafür. Ich komme aus
gutem Hause. All die Schwierigkeiten, die ich glaubte zu haben, waren vor allem
in meinem Kopf, weil ich nie gelernt hatte, mit Problemen umzugehen.“ Sie
senkte den Kopf. Ich wollte nicht fragen, was für Probleme das waren, doch es
schien ihr zu schaffen zu machen. Noch heute.
             „Deshalb bist du zur Armee gegangen.“
Es war keine Frage und doch antwortete sie mir.
             „Nein. Der Grund für diese Entscheidung
war ein anderer. Ich hatte schon davor erkannt, dass ich mich ändern musste.“
Ich atmete tief durch, denn der nächste Satz fiel mir nicht leicht, aber er
musste raus.
             „Muss man sich wirklich ändern?“ Schon
der Verdacht ihre Gefühle vielleicht verletzt zu haben,

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