SALVA (Sturmflut) (German Edition)
hielt ihn deswegen nicht für wahnsinnig oder kalt, er spielte nur nach den
Regeln dieser Stadt, nach den Regeln des Überlebens. Aber ich hatte noch nie
jemanden getötet, um ehrlich zu sein, habe ich bis jetzt noch nicht einmal
darüber nachgedacht. Ich war bereit gewesen, dieses Messer zu ziehen, um mich
zu wehren aber niemals wirklich angenommen, dass ich jemanden umbringen würde.
Ich hatte einfach nicht daran geglaubt, dass es mir gelungen wäre. Wenn wir
diesem Plan wirklich folgten, dann würde ich es früher oder später tun müssen
und ich war mir unsicher, ob ich es in mir hatte. Veit war über solche Gedanken
schon weit hinaus und ich bezweifelte, mit ihm darüber reden zu können, also
hielt ich den Mund. Ich wollte überleben und das war der einzige Plan, der
tatsächlich funktionieren konnte.
„Alles klar.“ Ich versuchte zu lächeln
aber meine Mundwinkel verkrampften sich. Der erneute Stress dieser Situation
begann mir bereits wieder zuzusetzen.
„Keine Sorge, sobald wir uns noch einen
vorgeknöpft haben, bekommst du auch eine Waffe.“
„Super.“ Ich war zwar nicht wirklich
begeistert, aber es war auch keine schlechte Idee. Dass ich noch nie eine Waffe
abgefeuert hatte, war nicht entscheidend. Wenn es darauf ankäme, würde ich
schießen und auch etwas treffen. Zumindest wäre es ein besserer Schutz als ein
Messer. Im direkten Nahkampf wäre ich körperlich fast jedem Mann hier
unterlegen.
„Wenn unser Plan aufgehen soll, musst
du aber auch ehrlich zu mir sein. Was ist das für eine Sache mit dem Halsband?
Wer hat es auf dich abgesehen?“ Wieder einmal wusste ich nicht, was ich ihm
antworten sollte. Warum genau wollte Branko mich tot sehen? Ich hatte ihn
mehrfach abgewiesen, ihm ins Gesicht gespuckt und ihm nichts als Verachtung
entgegen gebracht. Trotzdem hatte ich meine Zweifel, dass es überhaupt etwas
damit zu tun hatte. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, sein Hass mir gegenüber
würde durch etwas ganz anderes motiviert und es entzog sich völlig meiner
Vorstellungskraft. Es gab die Vermutung, dass er doch mehr für mich übrig
hatte. Konnte das auch wirklich der Grund sein? Konnte jemand wie er eine Frau
überhaupt auf diese Art wahrnehmen? Er wirkte auf mich wie die schäbige Sorte
Mann, die glaubte jedes weibliche Wesen sei das private Eigentum eines Mannes.
Vielleicht meinte er genau das damit, als er sagte, ich würde ihm gehören.
„Sein Name ist Branko Kularac. Er ist
der stellvertretende Leiter der Schutztruppen in dem Administrationsbereich,
aus dem ich komme. Ich habe ihn wohl bei der ein oder anderen Gelegenheit gegen
mich aufgebracht und nun will er es mir heimzahlen. Persönlich.“ Ich fuhr mit
den Fingern über das Halsband. „Mein Chip ist eine Attrappe, ich vermute
deswegen das Halsband.“ Aber vielleicht konnte dieses Ding mir auch den Kopf
von den Schultern sprengen, wenn ich etwas Falsches tat.
„Vielleicht auch deswegen, aber
bestimmt nicht ausschließlich, sonst hätten sie dir einfach einen anderen
einsetzen können. Mit diesem Halsband bleibt er dir nicht nur auf den Fersen,
er kann auch Kontrolle ausüben, wahrscheinlich für den Fall, dass die Dinge
nicht so laufen, wie er es geplant hatte.“ Ich erinnerte mich wieder an die
Stromschläge und mein Körper krampfte zusammen. Vermutlich kamen die
Stromschläge damals im Zug nicht von der Kette, sondern vom Halsband. Es war
nicht die Spannung der Kette, sondern vermutlich der Druck auf den Hals, als
die Kette an dem Halsband zog. Das würde auch erklären, warum der tote Mann
nicht mehr unter Strom stand. Das Halsband hatte erkannt, dass er nicht mehr am
Leben war. Es überprüfte also auch die Vitalfunktionen. Branko würde wissen,
wenn ich eine mögliche Attacke von ihm überlebte. Ich könnte mich nicht einmal
tot stellen. Mit jeder neuen, ernüchternden Information schwand wieder etwas
Hoffnung in mir.
„Da kannst du wirklich nur eins tun, du
musst ihn töten, bevor er dich töten kann.“ Veit sagte es, mit einer
unglaublichen Gelassenheit in der Stimme, als wäre es eine völlig gewöhnliche
Überlegung, doch für mich bedeutete sie alles. Er hatte Recht. Ich hatte keine
andere Option. Ich würde mit Veit unseren Plan zu entkommen verfolgen, doch von
nun an hatte ich noch einen anderen Plan. Ich würde Branko töten, bevor er mich
töten konnte. Mir blieb nichts anderes übrig.
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