SALVA (Sturmflut) (German Edition)
seinen
Augen sprach dafür.
„Was hast du ihm getan?“ Wieder eine
dieser Fragen, auf die ich nicht wirklich eine Antwort hatte. Ich nahm es Gry
nicht übel. Sie wollte das alles nur verstehen, immerhin war sie nun mit uns
unterwegs, ich sah jedoch keine Möglichkeit, es ihr begreiflich zu machen. Ich
verstand es ja selbst nicht richtig und ich hatte das Gefühl, Branko auch
nicht. Ich existierte. Das war für jemanden wie ihn schon Grund genug. Ich
verstand nicht viel von Psychologie, aber man musste kein Experte sein, um zu
sehen, dass Brankos Verstand nicht wie der von normalen Menschen funktionierte.
Er war einfach krank und selbst, wenn es einen Weg gab, seine Handlungen nachzuvollziehen,
dann wollte ich es nicht. Was ich in dieser Stadt gesehen hatte, reichte für
lebenslange Alpträume.
„Ich denke er hasst mich, weil ich noch
am Leben bin.“ Zumindest war das mit Sicherheit ein Faktor.
„Aber ich versteh' nicht... Wieso?“ Ich
ließ meinen Blick durch die Umgebung wandern, mit dem Finger am Abzug und auf
der Suche nach einem vertrauten Gebäude oder einer Straße, an die ich mich
erinnerte.
„Das wüsste ich ehrlich gesagt selber
gerne.“ Gry sah mich wieder irritiert an. Dann sagte sie etwas, womit ich nicht
gerechnet hatte.
„Steckt dahinter eine längere
Geschichte über die du nicht reden willst? Wenn ich damit richtig liege... dann
musst du gar nichts weiter sagen.“ Ich hätte in diesem Moment wirklich gerne
gewusst, was ihr durch den Kopf ging. Warum hatte sie das gesagt?
„Du bist jetzt mit uns unterwegs.
Eigentlich verdienst du eine Antwort.“ Ich wollte noch mehr sagen, aber die
Worte kamen einfach nicht. Sie steckten in meiner Kehle fest.
„...Aber ich würde es nicht verstehen.“
Sie zog einen Mundwinkel nach oben. Es war keine Frage. Gry wollte mir zu
verstehen geben, dass sie mich nicht in eine unangenehme Situation bringen
wollte. Sie würde keine Antworten erzwingen, nur um ihre Neugier zu
befriedigen.
„Ich denke, da gibt es auch nichts zu
verstehen. Branko hasst mich einfach und er will mich tot sehen. Ich kenne
seine Motive nicht genau und selbst wenn, würde ich sie nicht verstehen. Er ist
nicht rational. Das alles ist nicht rational.“ Bei meinen letzten Worten
schweiften meine Gedanken bereits ab. Das war tatsächlich alles verrückt. Es
war eine Tatsache und nach allem, was ich bisher erlebt hatte, war diese
allgegenwärtig. Die Ereignisse hatten ohne Zweifel auch Grys Leben auf den Kopf
gestellt, denn sie stellte keine weitere Frage mehr. Sollte ich wirklich lebend
von hier entkommen, müsste ich selbst erst mal über vieles nachdenken. Vor
allem über die Frage wieso?
14
Mein
erster Orientierungspunkt war die Kirche, die Veit und ich auch als Treffpunkt
für Notfälle ausgemacht hatten. Leider konnte ich sie nicht sehen und mir kam
auch keine der Straßen wirklich bekannt vor. Wir mussten das Industriegebiet an
einem völlig anderen Punkt verlassen haben, als ich es betreten hatte.
Vielleicht waren wir schon näher an der Kirche, als ich dachte. Sie war von
unserem Standort aus nur nicht zu entdecken. Aljoscha machte wie immer ein
entspanntes Gesicht, aber an seiner Atmung konnte ich erkennen, dass er sehr
angespannt war. Es war ein kleines, kaum merkliches Anzeichen für seine Anspannung,
dass ich mir schon damals bei unserer missglückten Flucht eingeprägt hatte. Gry
schien davon nichts mitzubekommen und ich war ehrlich gesagt auch froh darüber.
Sie hatte zwar schon eine gewisse Nervenstärke bewiesen, doch auf mich wirkte
sie einfach so zerbrechlich. Ich wollte sie nicht mit mehr Sorgen belasten, als
unbedingt nötig. Innerlich hoffte ich, Aljoschas Anspannung war durch unsere
allgemeine Situation bedingt und nicht dadurch, dass ich uns vermutlich gerade
im Kreis führte. Aljoscha blieb stehen und sah zu mir.
„Wo lang jetzt?“ Ich sah mich um und
hatte keine Ahnung. Vermutlich war ihm unser Irrgang längst aufgefallen. Mein
Blick schweifte über die immer gleich aussehenden Fassaden der alten Häuser.
Auch an der nächsten Abzweigung kam mir nichts wirklich vertraut vor. Eine
Straße sah für mich aus wie die Nächste und ein Gebäude glich dem anderen, bis
auf ein Eckhaus, das völlig zerstört war. Es wirkte so, als hätte jemand ein
riesiges Loch hinein gesprengt.
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