SALVA (Sturmflut) (German Edition)
Aljoscha sah mich an, während ich
etwas blasser wurde, aber er sagte nichts dazu. Er hatte meine Höhenangst ja
bereits miterlebt.
„Raus. Sie verlassen die Stadt.“
„Wieso? Wegen des Wassers?“ Aljoscha
lachte leise auf und lehnte kurz die Stirn gegen den Boden. War meine Annahme
so dumm?
„Nein Liebes. Sie verlassen die Stadt,
damit die frische Ladung rein gebracht werden kann. Sie wissen genau,
wie viele Leute sie rein bringen, wie viele Permanente sich ungefähr hier
befinden und wie viele von der letzten Ladung noch übrig sind. Sie angeln den
Teich nicht komplett leer. Wenn nicht mehr genug da sind, damit es noch Spaß und Action bringt, werden neue Leute eingeschleust. Sonst latschen
sie hier nur tagelang herum, auf der Suche nach Überlebenden.“ Es war nicht
ich, die als nächstes sprach sondern Gry.
„Warum müssen sie dafür die Stadt
verlassen?“
„Weil sie noch mal Ausräuchern, bevor
sie neue Opfer in der Stadt platzieren. Sie pumpen tödliches Gas in die
Straßen, das sich eine Weile hält. Wer nicht Bescheid weiß oder schnell genug
auf ein hohes Gebäude gelangt, um sich vor dem Gas zu retten, ist erledigt.
Damit wollen sie auch verhindern, dass sich ganze Gruppen in den Bahnschächten
zusammenrotten können.“ Mir fiel wieder der Permanente in der kleinen
Parkanlage ein. Deshalb hatte er eine Gasmaske getragen. Er musste schon lange
hier sein und wusste genau Bescheid. Es machte endlich Sinn.
„Aber warum platzieren sie uns
überhaupt? Sie könnten uns doch einfach rein jagen und dann erschießen.“ Es war
immer noch Gry, die zu Aljoscha sprach, denn ich bekam kein Wort heraus,
sondern starrte nur auf die Straße unter uns. Aljoscha blickte wieder nach
unten und seine Miene wurde ein wenig ernster.
„Schon. Aber wo ist die Authentizität?
Und vom Spaß eines guten Kriegsspiels ganz zu schweigen.“
Ich
legte mein Gesicht auf meinen Handrücken und schloss für einen Moment die
Augen. Das Schwindelgefühl war noch da und seine Worte lösten Bilder vor meinem
geistigen Auge aus, die ich unbedingt verdrängen musste.
„Wie viel Zeit bleibt uns noch, bis sie
das Gas in die Straßen pumpen?“ Meine Stimme klang selbstbewusst und
entschlossen. Ich war es kein bisschen... Für mich war diese Information eine
Hiobsbotschaft. Sie hatten die Macht uns sofort zu töten, wenn ihnen danach
war. Man hatte nie eine faire Überlebenschance gehabt. Das war einfach
Wahnsinn.
„Vielleicht ein paar Stunden. Sie
wollen die Verbliebenen in Sicherheit wiegen.“ Ein paar Stunden waren nicht
viel, aber genug Zeit um zur Kirche zu gelangen und bis auf den Turm. Wir
warteten, bis alle Fahrzeuge außer Sichtweite waren und verließen dann das
Gebäude.
Auf
halber Strecke zur Kirche war es bereits dunkel geworden und der Regen wurde
immer stärker. Die Sicht hätte kaum schlechter sein können und zu wissen, dass
keine Soldaten mehr in der Stadt waren, beruhigte mich nicht. Vielleicht
nutzten einige Permanente genau dieses Zeitfenster, um von einem Ort zum
anderen zu gelangen und unterwegs alles zu töten was sich bis jetzt noch
bewegte. Basierend auf den letzten zwölf Stunden in dieser Stadt, hatte ich vor
ihnen mehr Angst, als vor den Schutztruppen oder den Soldaten. Der Kirchturm
rückte immer näher und die Regenpfützen am Boden wurden immer größer und
tiefer, bis es keine Pfützen mehr waren. Das Wasser war überall und es reichte
uns bereits bis zu den Knöcheln, als wir die Kirche erreichten. Das war nicht
besonders tief, doch in Hinblick auf den immer heftiger werdenden Regen, war es
nur eine Frage der Zeit, bis auch dieser Teil der Stadt komplett überflutet
war. Die Kirchentore waren von Schutt versperrt, aber an einem Fenster fehlte
ein großer Teil der Fassade. Wir schafften es hinein zu klettern, obwohl es für
Gry und mich wesentlich schwerer war, als für Aljoscha. Schon während wir
hineinkletterten, machte ich mir Sorgen, wie ich den Aufstieg zur Turmspitze
schaffen sollte. Mein Herz raste wieder. In der Kirche erwartete ich einen
gewohnten Anblick, doch meine Vermutungen wurden enttäuscht. Es sah kein
bisschen so aus, wie ich es aus Büchern kannte. Bücher waren meine einzige
Referenz in diesem Fall, da Religion in Europa schon ewig nicht mehr
praktiziert wurde und Kirchen überall zu traurigen Mahnmälern verwitterten
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