Salz der Hoffnung
ließ, wurde gar zu schnell vergessen. Und er hatte nicht die Absicht, sich ausgerechnet jetzt zur Ruhe zu setzen, da ein solches Durcheinander in der Welt herrschte. Außerdem waren Briefe von seinen Freunden in den Kolonien angekommen, die er beantworten mußte, denn er pflegte diese Kontakte nach wie vor und gab Ratschläge, wenn er darum gebeten wurde. Er seufzte. Mit über siebzig hatte er sich damit abgefunden, daß er sein geliebtes Sydney nicht wiedersehen würde, doch es stimmte ihn traurig. Mit welch großen Hoffnungen sie damals aufgebrochen waren, und Neusüdwales hatte sie alle noch übertroffen. Sie hatten nach den Sternen gegriffen und ein ganzes Universum gefunden. Der Stolz auf diese Leistung würde ihn für den Rest seiner Tage erfüllen.
Doch nun saß er in seinem muffigen Dienstzimmer mit Blick auf die Themse. Ein letzter Termin stand für heute noch an, dieser junge Däne, für den Davey Collins sich verwendet hatte. Er schüttelte den Kopf bei der Erinnerung an die Bombardierung von Kopenhagen. Wären sie von vornherein nicht so überheblich mit den Dänen umgesprungen, hätte all das vermieden werden können und die Dänen säßen jetzt nicht auf Rache sinnend in den Trümmern ihrer Stadt. Er blätterte Jorgensens Akte durch. Er kannte sie bereits, doch ein weiteres Schreiben war hinzugekommen, von einem Major Reynolds, Gefängniskommandant in Yarmouth.
Während Phillip las, richtete er sich immer weiter auf, und die Haare in seinem Nacken sträubten sich. Dieser Kerl wagte es, ihn zu kritisieren, und behauptete, Jorgensen hätte niemals freigelassen werden dürfen. Was für eine Frechheit! Vermutlich einer von diesen geleckten Armeeoffizieren, die glaubten, sie könnten überall unaufgefordert ihre Meinung kundtun. Phillip schnaubte. Und wäre es ihm in den Sinn gekommen, jeden Mann der verdammten dänischen Marine freizulassen, so stünde diesem ausstaffierten Gefängniswärter immer noch kein Urteil darüber zu.
Finster sah er auf das Schreiben hinab. »… kommandierte ein Freibeuterschiff unter der Flagge der dänischen Marine.« Und was für eine Haarspalterei war das? Für welche Marine hätte der Däne denn wohl sonst kämpfen sollen? Er war aus dem Südpazifik heimgekommen und fand sein Land in Not, also meldete er sich freiwillig. Himmelherrgott noch mal, manche dieser Armee-Bengel waren gar zu sehr von sich eingenommen! Dabei hätte er gewettet, daß dieser Reynolds in seinem Leben noch keinen ernsthaften Kampf gesehen hatte. War er nicht selbst aus Neusüdwales heimgekommen in der Absicht, sich zur Ruhe zu setzen, und hatte statt dessen das Kommando der Blenheim übernommen? Und wenn er in Kriegsgefangenschaft geraten wäre, hätte nicht auch er gehofft, daß seine Freunde sich um seine baldmöglichste Freilassung bemühten? Er verabscheute die gehässige, zänkische Art dieser Schreibtischsoldaten.
Der Sekretär steckte den Kopf zur Tür herein. »Mr. Jorgensen ist noch hier draußen, Sir.«
»Ich weiß«, schnauzte Phillip in seiner typisch abgehackten Sprechweise. »Er ist Seemann, die sind geduldig. Also wird er warten.«
Er wandte sich wieder der Akte mit der amüsanten Aufschrift »Ein Däne namens Jorgensen« zu. Mehr aus Nostalgie denn aus aktuellem Anlaß blätterte er sie durch. Die Namen brachten ihm die Wärme jenes sonnigen Landes am anderen Ende der Welt in Erinnerung und die blaue Schönheit des Hafens von Sydney. Er konnte den markanten Duft von Eukalyptus förmlich riechen.
»Schicken Sie ihn rein!« brüllte er durch die geschlossene Tür.
Phillip, ein kleiner, untersetzter Mann, erhob sich, als der Däne eintrat, und nahm ihn in Augenschein wie einen Matrosen an Deck seines Schiffes. Jorgensen war ein großer Kerl, ein typischer Däne bis auf die dunklen Haare. Sie waren gute Seeleute, die Dänen: stark und ruhig, nichts konnte ihnen so leicht Angst einjagen.
»Ha! Jorgensen! Mir scheint, Sie wären besser da unten bei Collins in Hobart geblieben!«
Jorgensen grinste. »Das habe ich mir an jedem langen Tag in Yarmouth auch gesagt.«
»Ich könnte mir vorstellen, auf Ihren Reisen haben Sie Schlimmeres als das erlebt.«
»Sicher. Trotzdem ist es hart für einen Mann, eingesperrt zu sein. Aber Port Phillip, das nach Ihnen benannt ist, war auch nicht gerade ein
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