Salz der Hoffnung
Sein Vater, der alte Abe, hatte immer ein wachsames Auge auf ihr Vermögen gehabt, war stets zufrieden mit der Art und Weise gewesen, wie sein Sohn es verwaltete, und hatte ihn manchmal damit aufgezogen. »Leonard und Miss Hayes wird bald ganz Boston gehören, wenn sie so weitermachen«, pflegte er zu seinem Partner Milt Kernicke zu sagen.
Allmählich waren Regals Briefe persönlicher geworden, als sei Leonard ihr einziger Freund, der einzige Mensch, dem sie sich anvertrauen konnte und der sie verstand. Leonard hatte oft an sie gedacht und sich allerhand Phantasiebilder ausgemalt, hatte sich vorgestellt, wie er sie in die Arme nahm und sie liebte, stundenlang, die Art Liebe, von der ihr Schwachkopf von Ehemann sicher nicht das geringste verstand. Und dann hatte sie ihm von Jorgensen geschrieben. Er war eifersüchtig gewesen, aber er hatte verstanden. Dieser Däne hatte die wahre Regal Hayes erkannt.
Und jetzt war sie in irgendeinem grauenvollen englischen Gefängnis.
Der Portier des Colchester tat alles, um behilflich zu sein. Er besorgte eine Kutsche, wies den Fahrer an, zum Bridewell-Gefängnis zu fahren, und erklärte dem amerikanischen Besucher, Bridewell sei einmal ein Palast gewesen, kein geringerer als Heinrich VIII. habe darin residiert. Diese Vorstellung faszinierte Leonard so sehr, daß es seine Gedanken für ein Weilchen von den erdrückenden Sorgen um Regal ablenkte.
Als Leonard das Hotel verlassen wollte, stieß er an der Tür mit genau dem Mann zusammen, den er am allerwenigsten zu sehen gehofft hatte: Dr. Flaherty.
»Ich muß zu meiner Mandantin«, brachte er zu seiner Rechtfertigung vor, als er Flahertys Stirnrunzeln sah.
»Ist es denn so wichtig?« fragte der Arzt.
»Sie ist nicht nur meine Mandantin, sondern auch eine gute Freundin. Und sie steht unter Mordanklage.«
Flaherty lächelte. »Dann ist es wirklich wichtig. Aber versuchen Sie, die Ruhe zu bewahren, mein Junge. Sie dürfen keinen weiteren Schock erleiden. Ich werde hiersein, wenn Sie zurückkommen.«
»Vielen Dank«, sagte Leonard und eilte davon. Er hatte einen Fall vorzubereiten. Er hatte zugelassen, daß seine persönlichen Gefühle für Regal ihn an der Ausübung seiner Pflicht als ihr Anwalt hinderten. Diese Schwäche in Verbindung mit dem Schock hatte seinen Zusammenbruch ausgelöst. Das durfte nie wieder vorkommen. Er fragte sich, ob Regal vielleicht genau dasselbe geschehen war, ob der Schock über Jorgensens zweite Verhaftung sie in den Wahnsinn getrieben hatte. Aber dann schüttelte er den Kopf, während man ihm in die Kutsche half. Nein, niemals. Regal war stärker. Er schämte sich dafür, daß er sie als labile, selbstmordgefährdete Frau präsentieren wollte, aber was blieb ihm anderes übrig? Und in welcher Verfassung mochte sie sich tatsächlich befinden?
Die Straßen, durch die sie jetzt fuhren, waren voller Unrat, schleimige Abwässer rannen vor den Häusern entlang und sammelten sich in stinkenden Pfützen. Diese überfüllten, verschmutzten Straßen waren so widerlich, daß er kaum glauben konnte, daß er noch in derselben Stadt war, und als die Kutsche vor dem gewaltigen, rostigen Tor von Bridewell hielt, konnte er sich kaum überwinden auszusteigen. Bridewell war kein Palast mehr, es war ein düsteres, furchteinflößendes Gemäuer, das sich nur allzugut in seine Umgebung einfügte.
Er ging auf das Tor zu und schloß die Hand um die losen Münzen in seiner Tasche. Der Portier hatte ihm zu verstehen gegeben, daß er sie brauchen werde, um an den diversen Torhütern im Gefängnis vorbeizukommen.
Der Portier hatte recht gehabt. Leonard hatte schon eine Handvoll Münzen hergegeben, ehe er in das Dienstzimmer des Gefängnisdirektors geführt wurde, eines Mannes mit einem brutalen, grobschlächtigen Gesicht, einem hervorstehenden Kinn und schwarzen Zahnstummeln. Er lehnte an einem der klapprigen Fenster. »Wer sind Sie?«
»Mein Name ist Rosonom, Sir. Ich bin Mrs. Howths Anwalt, die meines Wissens hier einsitzt.«
»Sie meinen wohl die ausländische Frau, die Mörderin. Sie sind auch Ausländer, oder?« Sein Atem roch so furchtbar, daß Leonard einen Schritt zurücktrat.
»Amerikaner«, antwortete er. »Ich würde Mrs. Howth gerne sprechen.«
»Hier
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