Salz der Hoffnung
ich ihre Kutsche nehmen?«
»Ja, ja, natürlich«, sagte Leonard. »Kann ich irgend etwas tun?«
»Bleiben Sie bei ihr. Kühlen Sie ihr das Gesicht und sorgen Sie dafür, daß sie ruhig bleibt.«
»Was hat sie denn nur?«
»Ich weiß es noch nicht«, antwortete Flaherty, aber der besorgte Ausdruck auf seinem Gesicht ließ Schlimmes ahnen.
Leonard fand einen kleinen Hocker und setzte sich neben Regal. Hin und wieder wrang er ein Tuch in dem frischen Wasser aus und tauschte es gegen das auf ihrer Stirn aus, denn durch das Fieber wurde die Kompresse nur allzu schnell warm. Er dankte Gott, daß Flaherty heute mit hergekommen war, und er sorgte sich darum, was werden sollte, wenn er das Gefängnis später verließ. Sie konnten schließlich nicht die ganze Nacht hierbleiben, aber sie konnten sie auch nicht allein lassen. Er hatte die gierigen Blicke bemerkt, die die Wärterinnen auf Regals Kleider warfen und auf das frische Obst, das er ihr mitgebracht hatte. Natürlich war es gleich, wenn sie sie stahlen, sie waren leicht zu ersetzen, aber die Haltung dieser abstoßenden Frauen machte ihm angst. Sie würden sich nicht um Regal kümmern, sie war ihnen egal. Diese Frauen waren niedere Kreaturen, lebten wie Ratten in diesem Loch, sie waren die Herrinnen der Dunkelheit und des Bösen.
Gelegentlich sprach Regal. Von Jorge. Von Segelschiffen. Sie verlangte nach Edwina. Und nach Polly. Manchmal brachte irgend etwas sie zum Lachen. Dann umklammerte sie seine Hand, und die Worte sprudelten nur so hervor. Sie sagte ihm, sie würden fortgehen, nur sie beide, sie würden in die wundervolle Brisk Bay segeln, wo das Meer blau war, und Leonard erkannte niedergeschlagen, daß sie glaubte, sie spreche mit Jorgensen.
Er würde Jorgensen ausfindig machen, nahm er sich vor. Er mußte sich jetzt einfach die Zeit dafür nehmen. Regal war auch ohne diese Krankheit einem Zusammenbruch nahe, sicher würde Jorgensen ihr neue Kraft geben.
Viele Stunden später kam Flaherty in Vaggs Begleitung zurück und verlangte nach einer Lampe, damit er Regal genauer untersuchen konnte. Als er herauskam, wirkte er ernsthaft besorgt. »Es geht ihr sehr schlecht. Ich habe so etwas schon früher einmal gesehen.« Er rief die Wärterin. »Hat sie erbrochen?«
Sie schien überrascht, daß er das wußte. »Gott, das kann man wohl sagen. Gestern hat sie alles vollgespuckt. Ist unser Essen vielleicht nicht gut genug für ihresgleichen?« Flaherty wandte sich an Vagg. »Sind noch andere Frauen hier, die dasselbe Fieber haben?«
»Woher soll ich das wissen? Sie schleppen hier alle möglichen, widerlichen Krankheiten ein.«
Leonard machte einen Schritt nach vorn und hätte ihn niedergeschlagen, wenn Flaherty ihn nicht zurückgehalten hätte. »Sie hat Ausschlag, dunkelrote Flecken. Es ist furchtbar ansteckend. Wir müssen sie von hier fortbringen.«
»Das werden Sie nicht tun«, widersprach Vagg. »Darauf fall’ ich nicht rein.«
»Wenn ich sie hierlasse, wird sie euch alle anstecken«, warnte Flaherty.
»Nicht wenn wir sie dort drüben einsperren. Sie gehört doch so oder so an den Galgen. Lassen Sie sie hier. Ich kann sie nicht freilassen, auf keinen Fall. Und jetzt wird es Zeit, daß Sie nach Hause gehen, Gentlemen. Sie können ja morgen wiederkommen.«
»Ich kann sie hier nicht zurücklassen!« Leonard war entsetzt. »Ich bleibe bei ihr.«
»Guter Junge.« Flaherty nahm ihn beiseite. »Dieses Fieber ist wie die Pest. Ich habe mit angesehen, wie es ganze Familien auslöschte. Ich werde Castlereagh aufsuchen.«
»Wer ist das?«
»Der Innenminister.«
»Also kennen Sie ihn wirklich?«
»Zumindest gut genug, um ihm zu sagen, daß in diesem Gefängnis eine Epidemie droht. Ein Heer von Ärzten wird hier vonnöten sein, um alle Insassen zu untersuchen, aber Mrs. Howths Fall ist eindeutig diagnostiziert. Er muß einer Verlegung zustimmen.«
»Und er kommt wirklich, um dieses Gefängnis zu inspizieren?« Leonard wußte, es war eine dumme Bemerkung, sobald er sie ausgesprochen hatte. Aber er war müde und fühlte sich selbst schon krank.
Flaherty klopfte ihm auf die Schulter. »Nein, das habe ich erfunden. Fassen Sie Mut, Junge.
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