Salzträume 2: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Seien Sie doch vernünftig. Sie ist wahrscheinlich schon lange tot. Sie ist in der Finsternis, ohne Nahrung, zusammen mit einer Kreatur, die so unnatürlich ist, daß sie nicht nur einen Herzschuß überlebt hat, sondern anschließend auch noch eine Frau entführen konnte. Ihre Sorge um die Dame ehrt Sie, doch bleiben Sie realistisch! Sie ist tot und begraben. Ein großartigeres Grabmal kann man sich nicht wünschen. Sie können eine Messe für sie lesen lassen, wenn Sie meinen. Seien Sie ehrlich – man würde ihr nach einem solchen Abenteuer doch ein glückseliges Dahinscheiden als Gnade wünschen. Von einem Scheusal verschleppt und in einem Berg verschüttet! Von Waydts Anmerkungen waren harsch, doch er hat recht.“
Asko zwang sich, den Blick zu senken, um seine Empfindungen nicht zu verraten. Er glaubte nicht, daß sie tot war. Es war noch keinen halben Tag her, da hatte sie gelächelt, und ein Feyon hatte sie gestreichelt.
„Ich weiß, höchstwahrscheinlich ist sie tot“, sagte er. „Doch die Möglichkeit, daß sie überlebt hat, besteht. Frauen sind manchmal weitaus zäher, als man meint. Sie hat in ihrem Haus tapfer gekämpft. Sie ist nicht feige. Der Mann ... der Feyon ... läßt sie eventuell absichtlich am Leben, warum auch immer.“
Der Professor umrundete die Maschine und legte eine Hand auf Askos Schulter.
„Mochten Sie sie? Das tut mir leid. Versuchen Sie, es so zu sehen: Wenn sie Ihre Schwester wäre, würden Sie wirklich wollen, daß sie mit der Schande eines solchen Erlebnisses weiterleben muß? Vielleicht ist sie nicht mehr bei Sinnen. Doch sollte sie tatsächlich überlebt haben, dann ist von Waydt der Mann, sich ihrer anzunehmen. Er kennt ihre Familie. Er weiß, worum es geht. Sie sind ein guter Physiker und Ingenieur, mein Junge, aber viel zu weich. Von Waydt wird das Richtige tun. Machen Sie sich keine Sorgen.“
‚Wenn du sie willst, mußt du etwas tun‘, hatte das unverschämte Wasserwesen gesagt.
Er räumte bedächtig sein Werkzeug fort und nickte dem Professor zu.
„Höchstwahrscheinlich haben Sie recht, Professor. Ich will die Sache nicht verkomplizieren, doch ich finde, gegen Frauen führt man keinen Krieg.“ Er schluckte alle weiteren Anmerkungen, die ihm auf der Zunge lagen, herunter. „Ich werde mich zurückziehen. Ein erquickender Schlaf wird mir die Sorgen nehmen. Wir müssen früh raus, um den ... die Munitionslieferung zu erwarten.“
„Von Waydt wird mit einigen Männern in die Höhlen gehen, um ihn gefangenzunehmen. Er will Sie nicht dabeihaben, also schlagen Sie sich das Mädel aus dem Kopf. Sie hätte sich nie einmischen dürfen. Sie hat sich das selbst zuzuschreiben. Ein seltsames Fräulein. Ich half ihrem Vater, einen Dryaden-Unhold zu vernichten, unter dessen Einfluß sie stand, als sie noch ganz jung war. Wie eine Wahnsinnige hat sie geschrien und gekämpft, dabei kann sie kaum mehr als vierzehn oder fünfzehn gewesen sein. Man will gar nicht wissen, was die unnatürliche Kreatur mit ihr getrieben hat. Man kann ihnen nicht trauen, keinem von ihnen.“
Asko erkannte den letzten Satz als einen, den er oft genug selbst ausgesprochen hatte. Was hatte der Wassermann noch gesagt? Dein Gewissen balanciert zwischen Schuld und Ausreden. Voller Schuld war es in der Tat. Doch immerhin nicht mehr voller ungefällter Entscheidungen, denn er hatte eben eine gefällt.
Er würde in den Berg gehen und nach Charlotte suchen. Er wollte nicht mit dem Wissen leben, daß er sie hätte in Sicherheit bringen können und nichts getan hatte. Versuchen mußte er es, auch wenn er sich damit verdächtig machte.
„Gute Nacht“, sagte er und verneigte sich höflich. Hardenburg lächelte ihm aufmunternd zu.
„Gute Nacht. Grübeln Sie nicht so viel, Meyer. Das Leben ist nicht halb so kompliziert, wie Sie meinen. Das Gute trennt sich vom Bösen, und um mit Marhanors Worten zu sprechen: Was wir tun, tun wir für einen guten Zweck. Es ist nie leicht, das Richtige zu tun.“
Es war immer schon leichter gewesen, das Richtige zu lassen. Asko ging an seinen Schlafplatz, den er mit einigen anderen teilte. Er war allein. Einer der Männer betreute Marhanor. Einen hatte er beim Professor gelassen, den stillen Schattenbach, der nie viel sagte. Er tat nur seine Arbeit und fragte nie nach dem Wie oder dem Warum. Genau die Art Mann, die man bei einem solchen Unterfangen brauchte.
Zwei weitere Männer waren irgendwo. Niemand war an diesem Abend zu der Witwe mit ihren Töchtern gegangen.
Asko
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