Salzträume 2: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
griff nach dem Handgelenk, das ihm am nächsten war, und zog es von ihrem Gesicht. Sie wehrte sich nicht, es war zwecklos. Er wollte trinken. Er war wahrscheinlich ausgehungert. Die Sache hatte ihn Kraft gekostet.
Doch er nahm nur ihre Hand und hielt sie. Ihr wurde klar, wie laut und keuchend sie atmete. Man hörte es trotz des Wasserrauschens. Sie fühlte sich dumm und linkisch, wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte, was sie erwartete.
Er streichelte ihre Hand. Ganz sanft. Dann hob er sie an die Lippen und küßte sie.
„Du hast mir zum zweiten Mal das Leben gerettet, und ich habe dich fast ermordet.“
Sie konnte ihn nicht ansehen, nichts entgegnen. Es war, als hätte ihr jemand die Kehle zugeschnürt. Atmen allein war schon schwierig genug.
Nun legte er ihre Hand auf sein Herz.
„Jetzt weißt du, was ich bin.“ Er klang nicht bitter oder gefährlich, sondern unbeteiligt, sachlich. „Es tut mir leid. Ich habe mich bemüht, ein Gentleman zu sein. Meist gelingt mir das ganz gut. Manchmal glaube ich gar selbst daran. Ab und zu mag es sogar stimmen. Doch ab und zu eben auch nicht. Die Wahrheit ist wie alles auf der Welt eine Sache des momentanen Standpunktes.“
Sie entgegnete nichts, konzentrierte sich auf die Einsicht, daß sie lebte, daß Zeit verging, ein Augenblick nach dem anderen. In diesem Atemzug lebte sie, im nächsten auch noch. Er war zurück und wußte, was er tat. Sie würde sich eine hysterische Szene verkneifen. Selbst wenn es sie zerriß.
„Charly, sag doch etwas!“
Sie wußte nicht, was.
„Du lebst. Du hast es geschafft, einem heißhungrigen, hirnlosen Scheusal Paroli zu bieten. Du solltest stolz sein – und voller Courage. Ich weiß nicht, woher du den Mut nahmst, mich in die Arme zu schließen, während ich dir an die Kehle ging. Jeder andere hätte sich gewehrt.“
Sich zu wehren wäre zwecklos gewesen.
„Ich weiß“, sagte er, als hätte er ihre Gedanken gehört. „Sich zu wehren wäre sinnlos gewesen. Dennoch braucht man ein Heldenherz, um dem Tod mit einer Umarmung zu begegnen.“
„Ich wußte, daß es irgendwann geschehen würde“, hörte sie sich sagen. „Ich bin sterblich. Du bist ein Feyon. Ich werde tot sein, und du wirst leben.“
Er hob ihre Hand an seine Wange. Seine Haut war warm und glatt. Kein Bartwuchs, keine Stoppeln störten, dabei hatte er sich nicht rasieren können. Vielleicht mußte er das ja nicht.
„Stimmt“, gab er nach einer Weile zu. „Aber das trifft auch zu, wenn du in Ehren ergraust und neunzig Jahre wirst. Ich hoffe sehr, daß du genau das noch vor dir hast. Ich weiß, es ist jetzt, wo du meine wilde Seite gesehen hast, schwer zu glauben, aber ich will dich nicht töten. Ich mag dich sehr, weißt du. Du hast einen Platz in meinem Herzen. Ich möchte mit dir Schach spielen. Ich möchte dich alle paar Jahre besuchen, um zu sehen, daß es dir gutgeht. Ich will wissen, daß du im Sonnenschein sitzt und dir von all dem nur eine dunkle Erinnerung bleibt.“
Sie nickte und fand irgendwo ein Lächeln.
„Ich weiß. Ich würde gern so leben und auf deine gelegentlichen Besuche warten. Die Besuche eines gutaussehenden, geheimnisvollen Herrn, der nach Sonnenuntergang kommt, mit mir Schach spielt und die neuesten philosophischen Theorien erörtert.“
„Womit er deinen Gemahl vor Eifersucht in den Wahnsinn treibt.“
„Ich denke, ich werde keinen haben. Ich bin kaum mehr eine ehrbare Partie, nachdem ich mitten in der Nacht verschwunden und tagelang weggeblieben bin. Nächtelang.“
Wieder schwiegen sie.
„Ich bin, was ich bin“, sagte er dann schlicht. „Es ist schwer zu verstehen, daß ich genauso eine mordende Bestie sein kann wie ein sanfter Liebhaber. Beides vereine ich in meiner Person, und beides macht dir Angst.“
Sie lächelte reuig. Nach einer Weile begann sie zu sprechen, Worte purzelten ihr aus dem Mund, urplötzlich, sie konnte sie nicht zurückhalten. Nichts konnte sie zurückhalten.
„Von Waydt, der Mann, der auf dich geschossen hat und den meine Eltern mir als Gatten erkoren hatten, ist ein wohlerzogener und weitgereister Mann. Dennoch ist er ein Mörder. Dich hat er ohne Warnung niedergeschossen. Mich hat er von seinen Leuten schlagen lassen. Er hat seinem Lakaien befohlen, mich auszufragen und dabei jedes Mittel anzuwenden. Welches er gewählt hat, weißt du. Trotzdem hält sich von Waydt zweifelsohne für einen Gentleman. Einen Aristokraten. Ich wette, er ist entsetzt über mein Verhalten, aber nicht über
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