Samtpfoten im Schnee
Lachen darin.
»Ich gebe Euch einen Penny.«
»Wie bitte?«
»Ich gebe Euch einen Penny«, wiederholte er. »Für Eure Gedanken.«
»Oh!« Meghan fühlte, dass sie heftig errötete - und dass ihr Kopf plötzlich wie leer war.
Justin lachte auf. »So schlimm?« Er zog sie kaum merklich näher und flüsterte verschwörerisch: »Keine Angst. Von einer Lady wird nicht erwartet, dass sie ihre Gedanken verrät.
Besonders nicht, wenn sie sündhaft gewesen sein sollten.«
Sich fassend reagierte Meghan mit einer Gegenfrage. »Woraus solltet Ihr schließen können, dass sie sündhaft waren?«
»Vielleicht aus dem Erröten?«
»Ein wahrer Gentleman«, belehrte sie ihn, wobei ihr heiterer Ton diese Maßregelung Lügen strafte, »würde die un-absichtliche Reaktion einer Lady wohl kaum zur Sprache bringen.«
»Oje«, stellte er in gespielter Zerknirschung fest. »Ich dachte, ich hätte es gut verborgen, aber Ihr habt die hässliche Wahrheit entdeckt - ich bin kein Gentleman.«
»Jetzt fügt Ihr Unwahrheiten der Liste Eurer Fehler hinzu.«
»Unwahrheiten?«
Ehe Meghan etwas darauf erwidern konnte, brach die Musik ab. Sie standen statuenhaft da, und das Singen begann.
Meghan schaute sich um, um zu sehen, wer dieses Mal im Mittelpunkt des Spaßes stand - und stellte fest, dass die Augen aller auf sie und ihren Partner gerichtet waren.
»Ach herrje«, murmelte sie.
In seinen Augen funkelte es amüsiert, als er sie fester in die Arme schloss. Sie legte protestierend die Hände auf seine Unterarme, doch kaum berührten seine Lippen ihren Mund, ging jeder Gedanke an Widerstand in dem Sturzbach der Gefühle unter, der sie fortriss. Zuerst waren seine Lippen sanft erkundend, wurden dann rasch fest und fordernd.
Meghan hatte jegliches Gefühl für Zeit und Raum verloren, als sie seinen Kuss mit all dem sehnsüchtigen Wollen erwiderte, das sie bis jetzt nicht eingestanden hatte - nicht einmal sich selbst.
Irgendwann drang das Lachen und Rufen der anderen zu ihr durch, und auch die Walzerklänge setzten wieder ein. Sie sah in Justins Augen, in denen jetzt noch etwas anderes als amüsierte Fröhlichkeit lag. Er sah so verwirrt aus, wie sie sich fühlte, als er schwungvoll mit ihr weitertanzte. Sie schwiegen beide, bis der Tanz endete. Dann bedankte sich Justin bei ihr und ging davon. Augenblicke später tanzten sie mit anderen Partnern.
Erst in den Stunden der Morgendämmerung, als Meghan zu Bett ging, hatte sie Zeit, über diesen Kuss nachzudenken.
Vergeblich. Schließlich gab sie den Versuch auf. Halb im Scherz ermahnte sie sich, vorsichtig zu sein, um nicht doch in den Ruf einer leichtlebigen Witwe zu geraten - zumindest was Justin Wingate betraf.
Justin fühlte sich von seiner Begegnung mit Meghan bis ins Innerste erschüttert. Er konnte sich nicht erinnern, auf einen unschuldigen Kuss je so reagiert zu haben. Neben dem Verlangen nach mehr hatte er auch den Wunsch in sich ge-spürt, zu lieben und zu beschützen. Er nahm bei Meghan eine tiefe Verletzlichkeit wahr, die das Bild der beherrschen-den, selbstsüchtigen Frau Lügen strafte.
Er gestand sich ein, dass er sich stark von ihr angezogen fühlte. Und auch wenn er ihr gegenüber behauptet hatte, kein Gentleman zu sein, so hatte er keinesfalls die Absicht zu versuchen, seinen Freund Layton auszustechen. Mit ge-runzelter Stirn starrte er am nächsten Morgen beim Rasieren sein Spiegelbild an. Er hatte Meghan und Layton in den letzten Tagen genau beobachtet. Sie lachten und plauderten unbeschwert miteinander, aber ihm war nicht aufgefallen, dass sie versucht hätten, ungestört zu sein. Wie es zum Beispiel bei Travers und Miss Thompson der Fall war.
Miss Thompsons Eltern waren vor einigen Tagen in Everleigh Hall eingetroffen und hatten, genau wie Justin es vorausgesehen hatte, Travers Werbung voll und ganz akzeptiert. Travers war bis über beide Ohren vernarrt, und Justin stellte fest, dass er den Freund, dem er normalerweise ein Gefühl nachsichtiger Toleranz entgegenbrachte, jetzt plötzlich beneidete.
Er strich seine Weste glatt und machte sich fertig, um zum Frühstück hinunterzugehen, als es an der Tür klopfte. Er öffnete und sah Irene vor sich stehen, die sehr besorgt wirkte.
»Joys Kätzchen ist verschwunden«, sagte sie sogleich. »Sie ist untröstlich. Wir haben das ganze Kinderzimmer auf den Kopf gestellt. Jetzt suchen die Dienstboten überall nach ihr
- sogar in den Ställen. Du solltest vielleicht mit Joy sprechen und sie beruhigen.«
»Ja,
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