Samtschwarze Nacht - Dodd, C: Samtschwarze Nacht - Into the Shadow (Darkness Chosen 03)
Wünsche vorrangiger sein als seine?«
Es war zwecklos. Sie redeten aneinander vorbei.
Karen schäumte vor Wut. »Na toll. Er hat dich voll auf seine Linie eingeschworen. Bleib von mir weg.«
»Aber Miss, ich hab Ihnen Frühstück gebracht.«
»Stell es draußen vors Zelt. Ich hol es mir, wenn ich Hunger hab.« Karen glitt zurück ins Zelt und stapfte ärgerlich über den weichen Orientteppich.
Mingma. Mingma hatte sie geleimt.
Wenn sie mit allem gerechnet hätte, aber damit nicht. Und wieso nicht? Sie hatte als Projektmanagerin große Bauvorhaben betreut, und sämtliche Kollegen waren scharf auf ihren Job gewesen. Diese Typen hielten sie für eine dumme kleine Tussi und hatten dauernd versucht, sie mit miesen kleinen Tricks auszubooten. Letztlich hatte sie es auf die ganz harte Tour gelernt, niemandem zu vertrauen.
Mingma war es trotzdem geglückt, sich ihr Vertrauen zu erschleichen.
Zum Glück würde ihr Vater das nie erfahren. Zum Glück … haha, das war reine Interpretationssache. Wenn sie nämlich nicht schleunigst flüchtete, würde sie als Playgirl für irgendeinen durchgeknallten Warlord herhalten müssen, bis er sie irgendwann satthatte oder bis zu ihrem Tod - beides lag durchaus im Bereich des Möglichen.
Hier gab es bestimmt irgendwo einen Fluchtweg. Aber wo?, zermarterte sie sich das Hirn. So meschugge konnten die Warlords gar nicht sein, dass sie nicht für den Ernstfall vorsorgten, oder?
Er hatte das Zelt hoch oben auf einer Plattform aufgeschlagen, vor einem der Hänge. Das war bestimmt kein Zufall gewesen. Dafür war Warlord viel zu gerissen.
Sie hob den schweren Wandteppich, der die Rückwand bedeckte, und untersuchte das wetterfeste Nylonmaterial.
Da.
Eine Naht reichte vom Boden bis zu einem Punkt auf halber Höhe der Zeltbahn. Karen kniete sich hin und strich mit den Fingern behutsam über die Naht, die mit einem durchsichtigen starken Nylonfaden gesteppt war. Das war bestimmt kein Zufall. Sie versuchte, den Saum zu zerreißen - unmöglich. Ein Messer musste her oder irgendein spitzer, scharfer Gegenstand … Sie lief zu dem Holster, das von einem der Bettpfosten baumelte.
Es war leer.
Sie blickte sich suchend um, schnappte sich ein vergoldetes Serviertablett vom Tisch und versuchte, mit der scharfen Kante den Knoten aufzutrennen. Uff, geschafft. Mit spitzen Fingern öffnete sie die Naht. Dann schob sie den Stoff beiseite und spähte durch den Spalt.
Wie sie vermutet hatte, ragte die Plattform ein Stück über das Zelt hinaus - und dahinter, in den Felsen, entdeckte sie einen Weg. Ein Fluchtweg, eingeschnitten in die Berge.
Auweia - sie blickte nach unten. Der Weg war etwa zwei Meter vom Rand der Plattform entfernt, und es ging an die sechs, sieben Meter steil nach unten. Bei
einem Sturz würde sie sich garantiert das Genick brechen.
Warlord konnte so weit nicht springen. Oder doch? Karen vermutete, dass er eine Art Hängebrücke für den Notfall konstruiert hatte. Sie kniete sich und tastete unter der Plattform herum.
Nichts.
Sie sah sich in seinem Zelt nach einem losen Brett um, das ihr Gewicht aushielt.
Nichts.
Sie mochte es nicht riskieren, noch länger zu warten.
Nicht mehr lange und Mingma würde garantiert wieder aufkreuzen und mit Engelszungen auf sie einreden, dass Karen den Haremsfummel anzog und die holde Maid für den tapferen Krieger abgab.
Schöne Scheiße.
Nicht für Geld und gute Worte.
Sie kniff die Augen zusammen, um abermals die Distanz abzuschätzen. Sie stellte sich an den Rand - und wäre fast gesprungen.
Die Ikone, schoss es ihr blitzartig durch den Kopf. Sie musste die Ikone mitnehmen.
Und natürlich ihre Jacke. Immerhin wollte sie durch das Himalaja-Gebirge fliehen, und dort war es selbst im Sommer grausig kalt.
Sie schnappte sich den Camouflage-Parka, schlang ihn um ihre Taille und band die Ärmel vor dem Bauch zusammen. Automatisch glitt ihre Hand in die Jackentasche und zog die Ikone heraus.
Die Heilige Jungfrau schaute sie ernst an.
»Ich werde dich retten«, versprach Karen, als sie wieder zu dem Loch in der Zeltbahn lief. Sie glitt durch den Spalt und blieb stehen, die Brise zauste ihre Haare. Sie starrte auf den Weg, der ganze zwei Meter von ihr entfernt war.
Sie war eine erfahrene Kletter in. Sie war über Schluchten gesprungen, mit reißenden Flüssen darunter. Sie hatte lange Beine und wusste, wann sie hart am Limit war.
Ein Sprung aus dem Stand … war unmöglich, völlig utopisch.
Sie schlang fröstelnd die Arme um die Taille
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