Samtschwarze Nacht - Dodd, C: Samtschwarze Nacht - Into the Shadow (Darkness Chosen 03)
und schluckte den Kloß hinunter, der schmerzhaft ihre Kehle verengte.
Sie würde im freien Fall in die Tiefe stürzen.
Sie hatte es Millionen Mal geträumt.
Sie würde da unten aufprallen, mit schweren inneren Verletzungen, verkrüppelt, ihr zerschundener Körper blutüberströmt.
Sie begann zu hyperventilieren, ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Mach kein Drama daraus. Sei kein Feigling.
Aber sie hatte solche Angst.
Auf der anderen Seite, wenn sie hierblieb, wäre sie das Spielzeug eines Monsters.
Spring.
Sie sprang.
Und reckte schwungvoll die Hände nach vorn wie Superman, machte sich lang, ruderte in der Luft mit den Armen, in dem verzweifelten Versuch, auf der anderen Seite anzukommen.
Sie schaffte es nicht. Stattdessen landete sie mit einem knochenknackenden Knirschen auf Gesicht und Brust. Ihre Beine baumelten hilflos in der Luft. Sie rutschte ab. Angelte hektisch nach ein paar Grasbüscheln. Fing sich wieder. Die trockene Grasnarbe löste sich aus dem kargen Boden. Sie rutschte erneut ab. Sie sah sich schon ungebremst in die Tiefe rauschen …
Ihr Fuß fand Halt an einem Felsvorsprung, der aus dem Abhang herausragte.
Mit einer Hand hielt sie sich an den dürren Ästen eines Strauchs fest.
Am liebsten hätte sie sich kräftig abgestoßen und mit einem Ruck hochgeschwungen.
Jetzt bloß nicht ausflippen, ermahnte sie sich, ganz ruhig bleiben und schön das Gleichgewicht halten. Konzentrier dich auf das, was du tust, Karen …
Sie robbte ganz langsam, Zentimeter um Zentimeter, mit dem Bauch auf den Pfad. Schwang ein Bein auf den Felsgrat. Zog das andere nach … und hatte es geschafft. Endlich. Sie war in Sicherheit.
Sie atmete tief durch, das erste Mal seit ihrem Sprung.
In Sicherheit? Von wegen. Warlord würde sich bestimmt an ihre Fersen heften. Er würde sie verfolgen, bis er sie aufgespürt hätte.
Magnus kroch über den felsigen Untergrund bis zum Rand des Hangs, sein Blick auf die Truppe fixiert, die sich in der Schlucht sammelte. Er kauerte sich neben den Mann, dem er den Treueeid geschworen hatte.
Warlord lag auf dem Bauch und verfolgte die Truppenbewegungen
durch das Tal. Es machte ihm unendlich viel Spaß, die Leute zu beobachten, wie sie zackig marschierten und mit militärischem Drill durch die langen engen Flusstäler und über gefährliche Felsmassive patrouillierten, wo er das Sagen hatte.
Magnus hatte keine Angst vor ihm. Nicht mehr. Dafür gab es schließlich keinen Grund. Der Kratzer auf seiner Wange war verheilt, nachdem er mit ein paar Stichen genäht worden war, von einem erfahrenen Mediziner in Kathmandu. Er schrak nur noch selten aus dem Albtraum mit der Katze hoch, weil deren massiges Gewicht auf seine Brust drückte und ihm ihr faulig heißer Atem ins Gesicht schlug. Und er hatte jene Nacht nahezu ausgeblendet, in der er schlagartig begriff, dass seine arme Mutter Recht hatte. Die alten, gruseligen Legenden, die sie ihm ins Ohr geflüstert hatte, stimmten: Die Welt war von Monstern bevölkert. Weil er letztlich selber eines geworden war - sein Sündenregister verdammte ihn dazu, bis zum Jüngsten Tag in der Hölle zu schmoren. Allerdings starb er lieber durch Warlords Hand - oder Klaue -, als dass er wie die meisten Männer lebte: als Schreibtischhengst oder Dockarbeiter am Rande des Existenzminimums.
Trotz seiner Loyalität gegenüber Warlord wahrte er sicherheitshalber immer eine gewisse Distanz zu seinem Chef. Mit gesenkter Stimme sagte er: »Die Armee ist verdammt nachlässig mit den Geldtransporten für die Gehälter.«
»Wieso auch nicht?« Ein amüsiertes Grinsen zeigte sich in Warlords Zügen. »Sie haben zwei Transporte
durch die Berge gebracht und null Probleme gehabt. Die fühlen sich sicher wie in Abrahams Schoß. Weil sie überzeugt sind, dass das scharfe Vorgehen der Regierung gefruchtet hat und die brutalen Räuber hinter Schloss und Riegel sitzen.«
»Na logo.« Magnus tippte sich mit einer spöttischen Geste an die Stirn. »Das hatte ich glatt vergessen.«
Warlord blieb cool und kontrolliert. »Als ich vor fünfzehn Jahren herkam, war ich siebzehn und von zu Hause ausgerissen. Weil ich jede Menge ausgefressen und Muffe davor hatte, hart bestraft zu werden. Heute werden wir es mal wieder ein bisschen krachen lassen und die gesamten Gehälter für die Regierungsbeamten in Khalistan an uns bringen.«
»Du bist viel in der Welt rumgekommen.«
»Ja, das kann man wohl sagen. Hast du eben den Soldaten gesehen? Den mit dem Fernglas und den
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