Samuel Carver 04 - Collateral
Er schämte sich auch für sein anfängliches Misstrauen gegenüber Justus’ Anruf. Während Carver sich auf Klerks Anwesen beim Frühstück vollgestopft und Tontauben geschossen hatte, war Justus’ Familie auseinandergerissen worden. Seine Frau hatte ihr Leben verloren aufgrund der Laune eines Größenwahnsinnigen. Er dachte an seinen Psychiater zurück, der sich gegen die Vorstellung gesträubt hatte, etwas zu tun, das den Tod einer Hand voll Menschen nach sich zog, selbst wenn er damit viele andere retten konnte. Jetzt stand Carver vor der umgekehrten Situation: Leute, die er kannte, würden umkommen, wenn er etwas nicht tat. Hier bestand der moralische Imperativ zu handeln.
Die Kinder, deren Ausbildung er unterstützt und deren Vater ihm das Leben gerettet hatte, sahen Verhören und Folter entgegen, vielleicht sogar ihrer Hinrichtung. Jedes Jahr hatten Canaan und Farayi ihm eigenhändig geschriebene Weihnachtskarten geschickt zusammen mit einem Brief, in dem sie voller Ernst ihre Erfolge in der Schule schilderten. In den vergangenen Jahren hatten diese Briefe erwachsenere Züge bekommen. Er hatte mitverfolgen können, wie sie zu Menschen mit Verstand und eigenen Ansichten wurden, zu jungen Leuten, die Malemba dringend brauchte. Denn anders war die Verwüstung, die Gushungo angerichtet hatte, nicht zu beheben. Carver durfte nicht tatenlos zusehen, wie zwei so vielversprechende Jugendliche vernichtet wurden.
Wenn er für Justus’ Kinder etwas tun wollte, dann etwas Effektives, also keine billigen Gesten, keine großspurigen Posen. Er musste ihnen – und ihresgleichen – die Möglichkeit verschaffen, jetzt zu überleben und in Zukunft erfolgreich zu sein. Und dazu konnte ein Einzelner nur eines tun.
Carver ging in Gedanken alles durch, was er über Malemba und die regierende Klasse erfahren hatte. In seinem Kopf nahm eine Idee Gestalt an. Sie wurde klarer und bestimmter, als er online ging und sich Karten und Luftbildaufnahmen von Hongkong anschaute. Dann besuchte er Webseiten, die sich mit Tropenmedizin und Meeresbiologie befassten. Er nahm einen Notizblock zur Hand und schrieb »Pyxis, Patene, Messkännchen, Messgewand, Lavabo«.
Schließlich rief er Klerk an.
»Justus Iluko wurde heute verhaftet«, sagte Carver. »Ich hörte, wie es passierte. Seine Frau ist tot. Seine Kinder sind im Gefängnis. Ich muss wissen, in welchem. Können Ihre Leute das für mich rausfinden?«
»Sicher«, sagte Klerk. »Aber wollen Sie einen Ausbruch inszenieren? Verschwenden Sie nicht Ihre Zeit, Mann. Sie sind gut, aber einer alleine gegen Gushungos Sicherheitskräfte? Das können Sie vergessen.«
»Danke, aber darauf bin ich schon selbst gekommen. Nächste Frage: Ihre Minengesellschaft, beschäftigt die Chemiker?«
»Natürlich. Die Besten. Wir brauchen sie für viele Veredelungsverfahren.«
»Ausgezeichnet. Sagen Sie ihnen, sie müssen etwas für mich ausführen.« Er schaute auf den Bildschirm seines Laptops und holte tief Luft. »Eine Synthese, die auf der Bildung eines Benzylhydrazid-Intermediats beruht, das mit
Methylglyoxylat-Hemimethylacetal und einer Lewis-Säure umgesetzt wird, um ein hochreaktives Azomethinimin zu erzeugen, welches durch eine intramolekulare 1,3-dipolare Cycloaddition ein kompliziertes tetracyclisches Zwischenprodukt bildet. Am Ende sollte eine Substanz stehen, die die Summenformel C 10 H 17 N 7 O 4 besitzt.«
»Sam, was zum Teufel soll das werden?«
»Das wird das Problem beheben, das Sie in Hongkong haben.«
»Wirklich?« Klerks Haltung änderte sich mit einem Schlag. Plötzlich klang er wesentlich interessierter.
»Ja, wirklich. Ich habe meine Haltung überdacht. Sagen wir einfach, ich habe jetzt ein starkes persönliches Interesse, dass die Aufgabe so gründlich wie möglich erledigt wird.«
»Das ist eine großartige Neuigkeit. Zalika wird begeistert sein.«
»Schön für sie, aber ich habe einen anderen Grund, das zu tun. Ich werde Ihnen die Synthesevorschrift und die nötigen Daten mailen. Sagen Sie Ihren Leuten, dass sie einen vollständigen Artikel im Journal of the American Chemical Society , 1984, Band 106 auf Seite 5594 finden. Sie werden außerdem Mehl, Wasser und eine Backanleitung für ungesäuertes Brot brauchen. Und Sie sollten ihnen raten, Schutzkleidung zu tragen, wenn sie daran arbeiten.«
»Könnte sich Kontakt als gesundheitsschädigend erweisen?«, fragte Klerk.
»Sehr.«
»Gut zu wissen.«
»Also, ich bin auch der Meinung, dass man am besten einen
Weitere Kostenlose Bücher