Samurai 1: Der Weg des Kämpfers (German Edition)
das bedeutet ›Drachenauge‹«, erklärte Pater Lucius. »Der Ninja Dokugan Ryu war vor zwei Jahren für die Ermordung von Masamotos Erstgeborenem verantwortlich. Masamoto-sama hatte ein Attentat auf den Daimy ō vereitelt und suchte nach den Tätern. Dokugan Ryu wurde beauftragt, dafür zu sorgen, dass Masamoto die Suche einstellte. Als Warnung tötete er Masamotos Sohn Tenno. Seitdem ist der Ninja spurlos verschwunden.«
Masamoto sagte etwas zu Pater Lucius. Seine Stimme klang ernst.
»Masamoto will wissen, wo sich deine restliche Familie befindet. Wo ist deine Mutter? War sie auch an Bord?«
»Nein, sie starb in England, als ich zehn war. An Lungenentzündung.« Jack sah Pater Lucius vielsagend an. Er hatte sofort erkannt, an welcher Krankheit der Priester litt. »Mein Vater ließ meine kleine Schwester Jess in der Obhut einer Nachbarin zurück, Mrs Winters, eine sehr alte Frau, die keinen Platz hatte, auch mich aufzunehmen. Deshalb ging ich mit aufs Schiff. Ich war alt genug zum Arbeiten und mein Vater beschaffte mir eine Stelle als Mastaffe an Bord der Alexandria .«
»Du hast viel durchgemacht«, sagte Pater Lucius. »Der Tod deiner Mutter und auch der deines Vaters tun mir sehr leid.« Er schien es aufrichtig zu meinen.
Der Priester übersetzte Jacks Worte für Masamoto, der ihm reglos zuhörte. Als Pater Lucius geendet hatte, schenkte sich Masamoto Tee ein. Er betrachtete die Tasse eine Weile, dann nippte er daran.
Niemand wagte, das Schweigen zu stören.
Endlich setzte Masamoto die Tasse wieder ab und begann zu sprechen. Aus dem Gesicht des Priesters wich alle Farbe und Akiko riss erstaunt die Augen auf. Der schwarzhaarige Junge schien wie versteinert und seine finstere Miene wurde noch finsterer.
Pater Lucius übersetzte. Seine Stimme zitterte ein wenig.
»Masamoto beschließt hiermit, dass er dich, Jack Fletcher, bis zu deiner Volljährigkeit in seine Obhut nimmt. Der Tod seines Sohnes jährt sich genau heute zum zweiten Mal. Er glaubt deshalb, dass die Götter dich geschickt haben. Dokugan Ryu hat auch dir Leid zugefügt, du sollst deshalb Tennos Platz an Masamotos Seite einnehmen und fortan als Mitglied der Familie gelten.«
Jack starrte Pater Lucius fassungslos an. Ein hoher Samurai wollte ihn als Sohn aufnehmen und er wusste nicht, ob er darüber lachen oder weinen sollte. Bevor er antworten konnte, hatte Masamoto schon Taka-san ins Zimmer gewinkt. Taka-san trug ein in Sackleinen eingewickeltes, rechteckiges Paket, das er Jack zu Füßen legte.
Masamoto sagte etwas zu Jack und Pater Lucius übersetzte.
»Als Masamoto dich aus dem Meer holte, hast du das in den Händen gehalten. Jetzt, nach deiner Genesung, gibt er dir dein rechtmäßiges Eigentum zurück.«
Masamoto bedeutete Jack, das Paket auszupacken. Jack zog an dem Band, mit dem es verschnürt war, das Sackleinen ging auf und ein in Öltuch eingewickelter Gegenstand kam zum Vorschein. Die Anwesenden beobachteten Jack mit wachsendem Interesse. Pater Lucius schob sich näher an ihn heran.
Jack wusste, was das Paket enthielt, auch ohne es ganz auszuwickeln – das Buch seines Vaters.
Das Zimmer drehte sich um ihn und aus dem Nichts tauchte plötzlich das Gesicht seines Vaters auf. John Fletcher lag sterbend auf dem Deck der Alexandria und aus seinem Mund lief Blut. Sein Kopf fiel zur Seite und ihre Blicke trafen sich.
»Jack … der Portolan … hole ihn … er bringt … bringt dich nach Hause …«
Dann tat er seinen letzten Atemzug.
»Jack?«, fragte Pater Lucius und riss ihn aus seinen Gedanken. »Was ist mit dir?«
»Nichts.« Jack hatte sich sofort wieder unter Kontrolle. »Ich bin nur traurig. Das hier gehörte meinem Vater.«
»Verstehe. Handelt es sich um seine Seekarten?« Pater Lucius sagte es beiläufig, doch seine glasigen Augen waren begehrlich auf den noch immer in Öltuch eingewickelten Gegenstand gerichtet.
»Nein … nein … um sein privates Tagebuch«, log Jack und nahm das Paket rasch an sich.
Pater Lucius schien nicht überzeugt, sagte aber nichts.
Masamoto hielt das Gespräch mit der Übergabe des Buches offenbar für beendet, denn er stand auf. Alle verbeugten sich.
»Masamoto-sama sagt, dass du jetzt ausruhen sollst«, übersetzte der Priester. »Er will dich morgen wiedersehen.«
Alle verbeugten sich noch einmal und Masamoto rauschte hinaus, gefolgt von seinen beiden Wachen und dem schlecht gelaunten schwarzhaarigen Jungen.
Auch Pater Lucius erhob sich und wollte gehen, doch ein schwerer
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