Samurai 1: Der Weg des Kämpfers (German Edition)
Hustenanfall schüttelte ihn. Als der Husten nachließ, wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
Er sah Jack an.
»Fahr zur Hölle mitsamt deinem Schiff!«, krächzte er. »Du bringst mir nur Unglück – seit deiner Landung bin ich krank.« Er stützte sich an der Schiebetür ab. »Und sei gewarnt, Jack Fletcher. Vergiss nie, dass ein Samurai dich gerettet hat. Die Samurai haben viele bewundernswerte Fähigkeiten, aber sie sind auch rücksichtslos. Widersetze dich einem von ihnen und er macht Hackfleisch aus dir.«
14
Die Vorladung
Den Nachmittag verbrachte Jack im Garten.
Er konnte immer noch nicht fassen, dass ein Samurai ihn als Familienmitglied aufgenommen hatte. Wahrscheinlich musste er ihm dankbar sein. Er hatte zu essen und ein Dach über dem Kopf und wurde nicht länger behandelt wie ein streunender Hund. Er fühlte sich geradezu wie ein Ehrengast. Taka-san hatte sich sogar vor ihm verbeugt!
Trotzdem gehörte er nicht hierher. Er war ein Fremder in einem Land von Kriegern, Kimonos und sencha . Aber wohin gehörte er dann?
Vater und Mutter waren tot, er hatte deshalb kein Zuhause mehr. Seine Schwester wohnte bei Mrs Winters, aber was passierte, wenn das Geld, das sein Vater der Frau für Jess’ Unterhalt gegeben hatte, aufgebraucht war? Oder die Alte starb? Jack musste nach Hause zurückkehren und sich um seine kleine Schwester kümmern. Aber England lag auf der anderen Seite des Globus und er als zwölfjähriger Junge konnte unmöglich zwei Meere überqueren, auch wenn er das Buch seines Vaters zurückhatte.
Seine Ohnmacht ließ ihn trotz der Hitze frösteln. Er saß in Japan fest, bis er ein Schiff nach England fand oder alt genug war, auf eigene Faust aufzubrechen.
Wenn er überleben wollte, blieb ihm nichts anderes übrig als hierzubleiben.
Er setzte sich in den Schatten des Kirschbaums und überlegte, inwiefern das Buch ihm nützen konnte.
Er erinnerte sich noch genau, wie aufgeregt er gewesen war, als sein Vater ihm das in Leder gebundene Buch zum ersten Mal gezeigt hatte – ein Buch, randvoll gefüllt mit Wissen und Geheimnissen. Als er es aufgeschlagen hatte, hätte er schwören können, dass die Seiten nach Meer rochen.
Das Buch enthielt aufwendig von Hand gezeichnete Karten, Kompasspeilungen für Häfen und Landzungen, Angaben zu Tiefe und Beschaffenheit des Meeresgrunds und ausführliche Berichte über die Seereisen seines Vaters, Orte, an denen Freunde wohnten, und feindliche Hafenstädte. Riffe waren mit ihrer exakten Lage ebenso eingetragen wie Strömungen und sichere Häfen. Und auf jeder Seite war noch etwas in Geheimschrift vermerkt, um das kostbare Wissen vor feindlichen Augen zu schützen.
»Ein solches Buch«, hatte sein Vater gesagt, »ist für den Steuermann dasselbe wie die Bibel für den Priester.«
Fasziniert hatte Jack zugehört, wie sein Vater erklärt hatte, dass man zwar den Breitengrad anhand der Position der Sterne bestimmen könne, doch nicht den Längengrad. Sobald man das Land vom Schiff aus nicht mehr sehen könne, sei man im Grunde verloren. Entsprechend sei eine Seereise ein gefährliches Unterfangen, es sei denn …
»Es sei denn, man hat ein solches Buch«, hatte sein Vater gesagt. »In ihm steht alles, was du brauchst, um ein Schiff sicher über das Meer zu führen. Es wurde unter großen Gefahren für Leib und Leben zusammengestellt. Ich selbst füge nach jeder vollendeten Reise meine eigenen Betrachtungen hinzu. Das Buch ist von unschätzbarem Wert! Es gibt nur wenige Aufzeichnungen einer vergleichbaren Genauigkeit. Wer dieses Buch besitzt, beherrscht das Meer! Und deshalb hätten unsere Feinde, die Portugiesen, am liebsten auch so ein Buch … und zwar um jeden Preis.«
Jetzt gehörte das Buch Jack.
Es war die einzige Verbindung zu seinem bisherigen Leben und seinem Vater. Und nur mit seiner Hilfe, mit der Hilfe seiner Kursangaben, die um die ganze Welt führten, konnte Jack hoffen, je nach Hause zurückzukehren.
Er blätterte durch die Seiten und ein loses Stück Pergament fiel heraus. Jack hob es auf. Es war brüchig vom Meersalz und an den Rändern zerknittert und abgenutzt. Er faltete es auf. Zum Vorschein kam eine Kinderzeichnung, auf der vier Personen, ein kleiner Garten und ein rechteckiges Haus zu sehen waren. Jack erkannte die Personen sofort: seinen Vater, hochgewachsen und mit vom Wind zerzausten schwarzen Haaren, er selbst mit einem übergroßen Kopf und hellem Haar, seine kleine Schwester, die ihn an der Hand hielt und mit der
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