Samurai 1: Der Weg des Kämpfers (German Edition)
schon nach unten und du warst fast besiegt. Doch dann – zack! – hast du sie wieder pfeilgerade ausgestreckt.«
»Ich weiß auch nicht.« Jack massierte sich die immer noch verspannten Schultermuskeln. »Ich spürte plötzlich wie aus dem Nichts neue Kraft und meine Arme fühlten sich schwerelos an.«
»Ki!«, sagte Kiku.
Jack sah sie verwirrt an.
»Ki bedeutet ›Lebenskraft‹«, erklärte Kiku. »Das weiß ich von meinem Vater. Gemeint ist deine geistige Energie. Ein geübter Samurai kann sie für den Kampf nutzen.«
»So ist es!«, fiel Saburo begeistert ein. »Die Soldatenmönche vom Berg Hiei waren dafür berühmt. Sie brauchten angeblich nicht einmal ihre Schwerter, um ihre Feinde zu besiegen.«
Alle sahen Saburo ungläubig an.
»Nein, wirklich! Sensei Yamada kann uns wahrscheinlich beibringen, wie wir unser Ki nutzen. Heute Nachmittag haben wir bei ihm Zen-Unterricht. Dann können wir alle unsere Schwerter besiegen.«
»Ich weiß nicht, ob der uns eine große Hilfe ist«, murmelte Jack vor sich hin, doch Akiko hörte ihn trotzdem.
»Warum sagst du das?«, fragte sie.
»Gestern Abend wollte Kazuki mich zwingen, mich zu entschuldigen. Er hätte mir fast den Arm gebrochen.«
»Warum hast du das nicht gemeldet?« Akiko betrachtete Jacks Arm aufrichtig besorgt.
»Wozu? Kazuki hat mich nicht ernsthaft verletzt. Allerdings nur, weil Sensei Yamada auftauchte. Yamada hat mir aber nicht geholfen, sondern nur eine komische Bemerkung gemacht.«
»Was hat er denn gesagt?«, fragte Yamato.
»›Damit andere über dich gehen, musst du zuerst liegen.‹ Tolle Weisheit! Wie sollte mir das helfen?«
»Entschuldige«, rief eine helle Stimme. Yori, der Junge, der sein Schwert vergessen hatte, lugte hinter Saburo hervor. »Vielleicht meinte Sensei Yamada, du müsstest lernen, dich zu wehren.«
Jack brauchte einen Moment, bis er begriff, dass Yori Recht hatte. Auf einmal war alles sonnenklar. Wenn er den Schwertkampf und den Kampf ohne Waffen beherrschte, wenn er stärker, schneller und besser war als Kazuki, dann lag Kazuki am Boden und nicht er.
Wenn er lernte, sich zu wehren, konnte er es mit jedem Gegner aufnehmen, vielleicht sogar mit Dokugan Ryu!
Schon aus diesem Grund lohnte es sich zu üben.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Jack?«, fragte Akiko und sah ihn neugierig an. Sie hatte seinen entschlossenen Blick bemerkt.
»Ja. Ich habe nur noch einmal über Yamadas Worte nachgedacht. Sie leuchten mir jetzt vollkommen ein.«
Jack gelobte nach nur einer Unterrichtsstunde mit aller Kraft den Weg des Kriegers zu gehen.
28
Der Daruma
»Kommt!«, ermutigte Sensei Yamada die Schüler. »Kommt. Seiza! « Die Jungen und Mädchen standen unschlüssig am Eingang der Buddha-Halle an der Ostseite des Innenhofs.
Sensei Yamada winkte sie herein. Er trug ein einfaches Gewand in Schwarzblau und Meergrün und saß mit gekreuzten Beinen an einem erhöhten Platz am anderen Ende der Halle auf einem kleinen, runden Kissen, das wiederum auf einem größeren, rechteckigen Kissen lag. Die Hände hatte er in den Schoß gelegt, die Spitzen seiner Finger berührten sich. Jack fühlte sich an eine freundliche Kröte auf einem Seerosenblatt erinnert.
Durch die Fensterschlitze fiel die Nachmittagssonne und fing sich in den aufsteigenden Fäden des Weihrauchs. Sensei Yamadas strähniger Bart sah aus wie ein feines Netz von Spinnweben. Ein berauschender Duft nach Jasmin und Sandelholz erfüllte die Luft. Jack spürte, wie er sich entspannte.
Die Schüler ließen sich auf Kissen nieder, die in halbkreisförmigen Reihen angeordnet waren. Jack fand einen Platz in einer der vorderen Reihen neben Akiko, Yori und Kiku und machte es sich bequem. Er sah Kazuki und Nobu als Letzte eintreten. Sie setzten sich ganz nach hinten. Kazuki starrte Jack gehässig an.
»Setzt euch bitte genauso hin wie ich«, sagte Yamada mit einer Handbewegung.
Die Samuraischüler rutschten auf ihren Kissen hin und her, bis sie dieselbe Haltung eingenommen hatten wie Sensei Yamada.
»Das ist der halbe Lotussitz. Er ist gut geeignet für die Meditation und begünstigt den Fluss des Ki. Sitzen alle bequem?«
Sensei Yamada atmete ruhig und tief ein. »Vor jedem von euch steht ein Geschenk, mit dem ich euch in meinem Zen-Unterricht willkommen heiße.«
Jack betrachtete den kleinen Gegenstand aus Holz vor seinen Füßen. Er sah aus wie eine kleine eiförmige Puppe ohne Arme und Beine. Die Puppe war leuchtend rot angemalt und hatte ein überrascht wirkendes Gesicht
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