Samurai 1: Der Weg des Kämpfers (German Edition)
drang in Jacks Bewusstsein ein und der Weihrauch erweiterte seine Sinne. Das Durcheinander in seinem Kopf verdichtete sich zu Bildern und Gesichtern – seine Albträume nahmen Gestalt an.
»Vor dem Ertrinken … ich … hatte immer Angst vor dem Ertrinken … davor, zum Meeresgrund hinuntergezogen zu werden …« Jack sprach mit Pausen, als müsste er die Worte mühsam vertreiben wie einen schlechten Traum.
»Gut. Was siehst du noch?«
»Meine Mutter … ich habe Angst … sie verlässt mich … sie stirbt und ich bin allein.« Jack stöhnte und zuckte in Trance zusammen. »Ginsel … ich sehe Ginsel … in seinem Rücken steckt ein Messer …«
In Jacks dunklen Gedanken formte sich aus grünem Nebel ein einziges Auge.
»Jetzt sehe ich … ein grünes Auge … wie das von einem Drachen. Das Auge von Dokugan Ryu … Es schwebt über meinem Vater … und ich kann ihm nicht helfen … er stirbt.« Jack riss die Augen auf, um das quälende Bild zu vertreiben. »Der Tod … ich habe Angst … vor dem Tod!«
»Du brauchst keine Angst vor dem Tod zu haben, Jack-kun«, sagte Yamada ruhig. Er öffnete ebenfalls die Augen und sah Jack so eindringlich an, dass Jack das Gefühl hatte, in seinem Blick zu vergehen.
»Der Tod ist universaler als das Leben«, fuhr Yamada fort und seine Stimme summte tröstlich in Jacks Ohren. »Alle sterben, aber nicht alle leben. Deine Mutter ist tot, Ginsel und dein Vater auch. Lass sie los, Jack-kun.«
»Das … verstehe ich nicht«, stotterte Jack. Sensei Yamadas bedeutungsvolle Worte verwirrten ihn und schüchterten ihn ein. Er unterdrückte ein ängstliches Aufschluchzen aus Furcht, die anderen könnten es für ein Zeichen der Schwäche halten.
»Du sollst nicht den Tod an erster Stelle fürchten, sondern das Wagnis, wahrhaftig zu leben. Es geht darum, wie du lebst, Jack-kun, auch im Tod.« Yamada betrachtete ihn mit Augen voller Weisheit. »Das ist das Wichtigste. Masamoto-sama sagte, dein Vater habe bis zu seinem Tod versucht dich zu beschützen. Es gibt keinen würdigeren Anlass zu sterben. Du brauchst keine Angst um ihn zu haben, denn er hat gelebt und lebt in dir weiter.«
Sensei Yamadas Worte gingen Jack durch den Kopf und Tränen begannen ihm über die Wangen zu laufen. Monate der Einsamkeit und der Schmerzen, des Leids und der Trauer brachen wie eine Flut aus ihm heraus. Es war ihm jetzt egal, ob Akiko oder Saburo ihn hörten.
Ganz allmählich ließ das Schluchzen wieder nach.
Jack wischte sich die Augen ab und stellte fest, dass ihm leichter zumute war, dass er ruhiger geworden war, als sei eine unsichtbare Last von seinen Schultern gefallen und als hülle ihn Frieden wie eine große Decke ein.
Akiko und Saburo, die nicht mehr meditieren konnten, betrachteten ihn in stummem Mitleid. Yamada beugte sich mit einem Lächeln der Genugtuung vor.
»Ich weiß nicht, wie man andere besiegt«, sagte er leise an alle gewandt und zog sie in den Bann seiner Worte. »Ich weiß nur, wie ich mich selbst besiegen kann. Unsere eigentlichen und gefährlichsten Gegner sind Angst, Wut, Verwirrung, Zweifel und Hoffnungslosigkeit. Wenn wir diese Feinde überwinden, die uns von innen angreifen, dann können wir jeden äußeren Feind besiegen.«
Er sah seine Schüler nacheinander an, um sich zu vergewissern, dass sie ihn verstanden hatten.
»Bezwingt eure inneren Ängste und ihr könnt die ganze Welt erobern. Das ist eure Lektion für heute.«
Er entließ sie mit einem Nicken. Akiko und Saburo verbeugten sich und gingen zur Tür, doch Jack blieb sitzen.
»Ich muss Sensei Yamada noch etwas fragen«, sagte er auf ihre besorgten Blicke hin. »Ich komme gleich nach.«
»Wir warten draußen auf der Treppe auf dich«, sagte Akiko. Sie ging mit Saburo.
»Ja, Jack-kun?« Sensei Yamada hob den Kopf. »Was bedrückt dich?«
»Also … ich hatte gestern Morgen eine …«
»Vision?«
»Ja. Woher wissen Sie das?«
»Das geschieht in diesem Stadium sehr oft. Der befreite Geist ist stärker, als du dir vorstellen kannst. Was hast du gesehen?«
Jack beschrieb den roten Dämon, der wütend den blauen Schmetterling angegriffen hatte.
»Man kann eine solche Erscheinung auf viele Weise deuten«, sagte Sensei Yamada, nachdem er eine Weile überlegt hatte. »Ihre wahre Bedeutung wird von den vielen Schichten deines Bewusstseins verdeckt. Nur du bist imstande, sie freizulegen. Du allein musst den Schlüssel zu dem Geheimnis finden.«
Jack war enttäuscht. Er hatte gehofft, Sensei Yamada könnte seine
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