Samurai 1: Der Weg des Kämpfers (German Edition)
abgeschossen, verloren oder zerbrochen hatten. Es gab auch keine Stelle, an der sie sich nicht beim waffenlosen Kampf blaue Flecken geholt hatten.
Außerdem hatte Jack noch heimlich bei Sensei Yamada Unterricht genommen und den Schmetterlingstritt geübt, in der Hoffnung, dass sich ihm irgendwann die Bedeutung seiner Vision erschließen würde. Noch scheiterte er an dem überaus schwierigen Sprung. Er hatte alles getan, was Sensei Yamada ihn lehrte, aber es war einfach nicht gut genug gewesen. Gemessen an seinen bisherigen Fortschritten würde es noch Jahre dauern, bis er den Sprung beherrschte.
»Das schaffe ich nie«, hatte er verzweifelt gerufen, als er eine knappe Woche vor dem Taryu-Jiai zum fünften Mal in Folge auf dem Rücken gelandet war.
»Man schafft, woran man glaubt, Jack-kun«, erwiderte Sensei Yamada nüchtern. »Du musst nicht die Technik beherrschen, sondern dich.«
Mehr Ermutigung hatte der Lehrer nicht für ihn übrig. Die seltsamen Sprüche Yamadas ärgerten Jack mehr denn je. Merkte der Alte denn nicht, dass der Sprung seine Fähigkeiten überstieg? Doch Sensei Yamada beharrte trotzdem darauf, dass er den Schmetterlingstritt Abend für Abend übte, bis ihm alles wehtat.
Jetzt, auf dem Hof inmitten der Schüler, die ihm alles Gute wünschten, hoffte Jack nur, dass sich die ganze Plackerei gelohnt hatte. Ändern konnte er jetzt sowieso nichts mehr.
Denn der Tag des Taryu-Jiai war gekommen.
»Jack-kun! Jack-kun! Jack-kun!«
Der Sprechchor klang ihm in den Ohren und er wurde über den Hof und zum Nanzen-niwa, dem Südlichen Zen-Garten, geschoben. Dort warteten an einem der großen, aufrecht stehenden Steine bereits Akiko und Saburo auf ihn. Masamoto und Kamakura saßen auf einer überdachten Bühne am Nordende des Gartens, flankiert von den Lehrern ihrer Schulen in ihren Festtagskimonos. Schüler säumten in ordentlichen Reihen die Längsseiten des Gartens – die Schüler der Niten Ichi Ry ū die Ostseite, die der Yagyu Ry ū die Westseite.
Jacks Herz klopfte wie wild.
»Samurai der Niten Ichi Ry ū , wir begrüßen euch!«, rief ein kahlköpfiger Mann in einem weißen Kimono.
Donnernder Applaus stieg aus den Reihen der Schüler auf und Jack, Akiko und Saburo rückten unwillkürlich schutzsuchend näher zusammen.
Der Applaus endete. Masamoto und Kamakura wechselten einige höfliche Worte, die allerdings nicht die Feindseligkeit zwischen den beiden Samurai verbergen konnte. Vor allem Masamoto machte ein grimmiges Gesicht. Dass sein Sohn fortgelaufen war, hatte ihn stärker altern lassen als jede im Kampf davongetragene Narbe. Er litt unter der Schande wie unter einer unheilbaren Wunde.
»Samurai der Yagyu Ry ū , wir begrüßen euch!«, rief der Mann im weißen Kimono.
Die Schüler auf der Westseite des Gartens klatschten und stimmten den Schlachtruf »Yagyu! Yagyu! Yagyu!« an.
Der unförmige Koloss Raiden betrat den Garten und nahm seinen Platz an dem aufrecht stehenden Stein gegenüber ein. Jack hatte schon wieder vergessen, wie groß er wirklich war. Im Frühjahr hatte Raiden ihn an einen übergroßen Affen erinnert, jetzt sah er aus wie ein Stier, brutal und Furcht einflößend. Das Taryu-Jiai würde kein Wettkampf werden, sondern ein Gemetzel.
Hinter Raiden erschien ein hageres Mädchen mit pechschwarzen Haaren. Es bewegte sich mit raschen, präzisen Bewegungen, als sei jeder seiner Schritte Teil eines stilisierten Kampfes. Seine Augen blitzten wie schwarze Diamanten, sein schmallippiger Mund war ein roter Strich in einem weiß gepuderten Gesicht.
Das Mädchen vereint verführerische Schönheit und tödliche Gefahr in sich, dachte Jack, wie eine Giftschlange, die gleich zubeißen wird.
Das Mädchen lächelte und zeigte seine Zähne. Sie waren schwarz angemalt.
Jack hatte sich noch nicht von seinem Schrecken erholt, da betrat der letzte Samurai der Yagyu Ry ū den Garten. Fassungslos starrten die Schüler von Niten Ichi ihn an. Sie hatten Toru erwartet.
Es kam Yamato.
Jack wollte nicht glauben, dass da wirklich Yamato als Vertreter der anderen Schule vor ihm stand. Er hatte ihn seit dem Frühjahr nicht mehr gesehen. Unter den Schülern hatte zwar das Gerücht kursiert, Yamato sei zur Yagyu Ry ū gewechselt, aber dass er jetzt gegen die Schule seines eigenen Vaters antrat, war vollkommen unbegreiflich.
Als Masamoto ihn sah, sprang er auf. Seine Augen quollen vor Empörung aus ihren Höhlen. Er fuhr zu Kamakura herum, brachte aber vor lauter Wut kein Wort heraus. Kamakura
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