Samurai 2: Der Weg des Schwertes (German Edition)
solltest du jetzt gehen.«
»Ja. Tut mir leid, es ist mein Fehler …« Jack verbeugte sich tief.
»Ein Fehler ist es erst beim zweiten Mal«, fiel der Mönch ihm mit unbewegter Miene ins Wort. »Fehler sind eine Quelle der Weisheit. Ich hoffe, du lernst aus diesem.«
Ohne ein weiteres Wort begleitete er Jack zum Eingangstor und bedeutete ihm zu gehen.
»Kehre nicht hierher zurück.«
Er schloss das Tor und Jack stand allein auf der Treppe.
Langsam und in Gedanken versunken kehrte er zur Schule zurück. Der Mönch hatte Recht. Er durfte Akiko nicht nachspionieren. Sie hatte ihm immer vertraut. Auf seine Bitte hin hatte sie niemandem vom Portolan seines Vaters erzählt. Er dagegen respektierte ihren Willen nicht und brach ihr Vertrauen, indem er ihr heimlich folgte. Auf einmal fand er sich deswegen selber unausstehlich.
Trotzdem plagten ihn weiter Zweifel. Akiko hatte behauptet, abends nicht mehr auszugehen. Was war so geheim, dass sie ihn deswegen anlog?
Bei seiner Rückkehr in die Halle der Löwen kam er an Akikos Zimmer vorbei. Unwillkürlich blieb er stehen und spähte hinein.
Offenbar war er jemand anderem zum Tempel des friedlichen Drachen gefolgt. Denn Akiko lag in ihrem Bett und schlief fest.
22
Herbstlaubschau
»Und ich dachte, etwas Schöneres als die Kirschblüte im Frühjahr könnte es nicht geben«, sagte Jack, ganz versunken in den Anblick der Ahornbäume.
Sie waren in den Gärten des Tempels Eikan-Do unterwegs. Akiko hatte Jack und die anderen zur momiji gari mitgenommen, der Herbstlaubschau. Diese ähnelte dem Hanami-Fest im Frühjahr, nur dass es im Herbst stattfand, wenn die Blätter der Ahornbäume sich in ein überwältigendes Farbenmeer verwandelten. Staunend ließ Jack den Blick schweifen. Der ganze Hang leuchtete vor roten, goldenen, gelben und orangefarbenen Blättern, so weit das Auge reichte.
»Lass uns dort hinaufsteigen!« Akiko zeigte auf eine dreistöckige Pagode, die wie ein Speer aus dem Flammenmeer ragte. »Da hat man eine wunderbare Aussicht.«
Jack, Yamato, Saburo, Yori und Kiku stiegen hinter ihr bis zur obersten Etage hinauf und blickten auf die Bäume hinunter. Die Blätter waren so schön und grazil wie goldene Schneeflocken.
»Herrlich, nicht wahr?«, ertönte eine tiefe Stimme hinter ihnen.
Sie drehten sich um. Vor ihnen stand ihr b ō jutsu -Lehrer Sensei Kano. Obwohl er blind war, bewunderte auch er die Aussicht.
»Ja … aber Sie können die Blätter doch gar nicht sehen, oder?«, erkundigte sich Jack vorsichtig, um den Lehrer nicht zu kränken.
»Nein, Jack-kun, aber das Leben besteht nicht nur aus dem, was man sehen und nicht sehen kann«, erwiderte Sensei Kano. »Ich kann vielleicht die Bäume nicht sehen, aber ich kann trotzdem das Herbstlaub bewundern. Ich kann die Farben schmecken, das Leben der Ahornbäume riechen und das verwelkende Laub spüren. Ich höre die Blätter fallen wie Millionen flatternder Schmetterlinge. Schließe die Augen, und du verstehst, was ich meine.«
Sie machten alle die Augen zu. Zuerst hörte Jack nur ein undeutliches Rauschen. Es verwandelte sich jedoch rasch in ein leises Rascheln, das an Regen erinnerte. Er fand gerade Gefallen an dem Geräusch, da hörte er jemanden kichern.
»Aufhören!«, rief Kiku.
Jack öffnete die Augen. Saburo kitzelte Kiku mit einem Zweig am Ohr. Kiku nahm eine Handvoll verwelkter Blätter vom Boden auf und warf sie ihm ins Gesicht. Einige Blätter trafen allerdings auch Yamato. Wenig später war eine heftige Laubschlacht entbrannt.
»Die Zeit mit Lachen verbringen, ist wie die Zeit mit Gott verbringen«, bemerkte Sensei Kano ein wenig wehmütig, überließ die jungen Samurai ihrem ausgelassenen Treiben und ging.
Sie streiften den ganzen Nachmittag durch die ausgedehnten Tempelgärten, überquerten hölzerne Brücken und wanderten um einen großen See, auf dem Menschen in kleinen Booten ruderten, japanische Laute spielten und den herbstlichen Anblick bewunderten.
In einem Boot am anderen Ufer entdeckte Jack Kazuki und seine Freunde. Sie hatten ihn noch nicht gesehen und schienen auch viel zu sehr damit beschäftigt, einander nass zu spritzen.
Dann sah Jack Emi auf einer Brücke. Endlich bot sich ihm die Gelegenheit, sie allein zu sprechen.
»Ich komme gleich nach«, sagte er zu den anderen, die zu einem kleinen Schrein auf der anderen Seite des Sees unterwegs waren. »Ich muss nur Emi etwas fragen.«
Yamato und Akiko blieben stehen. Akiko hob neugierig die Augenbrauen, sagte aber
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