Samurai 3: Der Weg des Drachen
beurteilen«, sagte Sensei Nakamura.
Saburo stand widerwillig auf. Das Blatt in seiner Hand zitterte. Er räusperte sich und begann zu lesen:
»Einen Furz lasse n –
man lacht nicht darüber,
wenn man allein ist.« [4]
Von der letzten Reihe kam lautes Gelächter. Doch die meisten Schüler unterdrückten ihr Grinsen schleunigst, als sie den eisigen Blick sahen, mit dem Sensei Nakamura Saburo musterte.
»Sehr lustig«, bemerkte sie. »So lustig, dass du das Haiku tausendmal abschreiben wirst.«
Saburo bereute seinen Scherz bereits. Verlegen setzte er sich.
»Ich hoffe doch, andere Haikus eignen sich besser zum Vortragen in der Klasse.«
»Sensei?«, meldete sich Emi und hob die Hand, in der sie ein Blatt hielt. »Ich glaube, das hier ist gut.«
Sensei Nakamura nickte. »Dann lass es uns hören.«
Emi gab das Haiku seinem Verfasser zurück.
Takuan nahm es lächelnd entgegen und stand auf. Er verbeugte sich bescheiden und las mit samtiger Stimme:
»Tempelglocke abends
am Himmel angehalten
von Kirschblüten.« [5]
Auf seine Worte folgte andächtige Stille. Die Schüler nickten anerkennend, dann begannen sie zu klatschen.
»Gut beobachtet«, lobte Sensei Nakamura. »Aber alles andere hätte mich auch sehr enttäuscht.«
Takuan wirkte ein wenig niedergeschlagen über das schwache Lob der Mutter. Er setzte sich mit einer Verbeugung.
»Nächste Woche machen wir weiter. Bis dahin schreibt jeder noch mindestens ein weiteres Haiku.«
Die Schüler verbeugten sich und verließen die Halle. Nur Saburo blieb zurück, um sein Gedicht tausendmal abzuschreiben.
»Er kann von Glück sagen, wenn er vor dem Schlafengehen fertig wird«, sagte Yamato und schlüpfte in seine Sandalen.
»Geschieht ihm nur recht, wenn er so frech ist«, fand Akiko.
»Aber du musst zugeben, es war lustig«, sagte Jack. »Und du kannst nicht bestreiten, dass er einen Augenblick festgehalten hat.«
»Aber keine Jahreszeit!«, entgegnete Akiko.
»Macht es einen Unterschied, zu welcher Jahreszeit man furzt?«, fragte Yori unschuldig.
Jack und Yamato brachen in Lachen aus.
»Entschuldigt uns«, sagte Akiko gekränkt und bedeutete Kiku, mit ihr zu kommen. Takuan war aus der Halle getreten. »Wir wollen Takuan zu seinem schönen Haiku gratulieren.«
Takuan, der bereits von mehreren Bewunderern umringt wurde, verbeugte sich, als die beiden sich ihm näherten. Jack sah, dass Akiko ihren Fächer geöffnet hatte und damit fächelte, während sie mit Takuan sprach.
»Wie kann man durch ein einziges Gedicht so beliebt werden?«, rief er erstaunt.
»Keine Sorge«, tröstete Yamato ihn. »Ich wette, er kämpft mit dem Schwert nicht halb so gut wie du.« Sie machten sich auf den Weg zum Abendessen in der Halle der Schmetterlinge.
12
Zwei Himmel
»Masamoto-sama und Sensei Hosokawa kämpfen gegeneinander!«, rief eine Schülerin und rannte zur Halle des Phönix.
Jack und Akiko, die zum morgendlichen Unterricht in dieselbe Richtung unterwegs waren, eilten ihr nach. Als sie sich der persönlichen Übungshalle Masamotos näherten, hörte Jack schon von draußen das Klirren der Schwerter. Er drängte sich durch die am Eingang versammelte Schülermenge, bis er die beiden Samurai sehen konnte. Sie kämpften ohne jede Rücksichtnahme und zu seiner Überraschung beide mit zwei Schwertern, dem langen und dem kurzen. Blitzend wie stählerne Raubvögel fuhren die Klingen durch die Luft.
Hosokawa schien die Oberhand zu haben und trieb Masamoto auf das Podest am hinteren Ende der Halle. Masamoto verteidigte sich mit einem Doppelschlag und hieb dabei fast einen seidenen Schirm mit einem aufgemalten brennenden Phönix entzwei. Hosokawa wehrte Masamotos Kurzschwert ab, doch konnte Masamoto mit dem Langschwert seine Verteidigung durchbrechen. Fast hätte er ihn durchbohrt. Im letzten Moment wich der Schwertkampflehrer mit einem raschen Schritt zur Seite aus. Masamoto setzte sofort nach.
»Wusstest du, dass sie einmal im Ernst gegeneinander gekämpft haben?«, fragte ein Schüler, der neben Jack stand.
Jack kannte ihn. Es war Taro, ein hochgewachsener, hübscher Junge mit kräftigen Armen und dunklen Augen, der als einer der besten Schwertkampfschüler der Schule galt. An seinen buschigen Augenbrauen konnte man erkennen, dass er Saburos älterer Bruder war. Als vollständig ausgebildeter Samurai genoss er höchsten Respekt unter seinen Mitschülern und verkörperte all das, wonach sein jüngerer Bruder strebte.
»Für mich sieht das hier auch ziemlich ernst
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