Samurai 4: Der Ring der Erde (German Edition)
sammelte die anderen Blätter ein und stand auf. »Und was machst du hier?«
»Ich habe dich gesucht.« Shiro schürzte die Lippen. »Du hast doch bei den Samurai geleb t – wie war das eigentlich?«
Etwas an Shiros Frage weckte Jacks Misstrauen. »Ich wurde gut behandelt. Die Schule war sehr streng, aber ich habe viel gelernt.«
»Musstest du auch arbeiten?«
»Nein, wir haben die meiste Zeit trainiert. Wir dienten Masamoto und unserem Fürsten, Daimyo Takatomi, und haben unseren Lebensunterhalt im Nachhinein dadurch verdient, dass wir im Krieg auf seiner Seite kämpften.«
Shiro lächelte anerkennend. »Und wie ist Kyoto? Dort hast du doch gelebt, nicht wahr?«
»Laut und chaotisch. Immer findet dort irgendein Fest, eine Versammlung oder ein Markt statt. Jedenfalls geht es viel hektischer zu als in deinem Dorf.«
»Klingt interessant«, sagte Shiro und blickte in das friedliche Tal hinunter.
»Manchmal ist es das.« Jack wandte sich zum Gehen. »Ich muss los. Hanzo wartet bestimmt schon auf seinen Unterricht.«
Shiro nickte unverbindlich. Jack konnte nur hoffen, dass er Momochi nicht von ihrer Begegnung berichtete. Auf dem ganzen Weg ins Dorf hinunter spürte er seinen Blick im Rücken.
38
Zauberkräfte
»Nein, so«, sagte Miyuki und bog Jacks Finger ganz vorsichtig zu dem Handzeichen für rin zurecht, das für »Kraft« stand.
Als Clanmitglied wurde Jack jetzt auch in das Geheimwissen der Ninja eingeweiht, die geheime Lehre der Schriftrollen. Seit einer Woche machte er sich nun schon mit den komplizierten Handzeichen, den kuji-in , vertraut. Mit diesen neun Zeichen, zu denen jeweils ein eigenes Mantra gehörte, konnten Ninja außergewöhnliche Kräfte in sich abrufe n – Zauberkräfte.
Jack hatte zunächst nicht daran glauben wollen. Soke hatte behauptet, ein Ninja könne mithilfe dieser Zeichen seine Kraft steigern, Gefahren im Voraus erkennen, die Gedanken anderer lesen und sogar über die Naturgesetze gebieten. Jack hatte zwar erlebt, wie sein Zen-Lehrer an der Niten Ichi Ryu, Sensei Yamada, einige ganz erstaunliche Dinge vollbracht hatte, er konnte sich aber nicht überwinden, an die Handzeichen der Ninja zu glauben. Ihre Wirkung schien ihm viel zu übertrieben geschilder t – bis Soke unter Anrufung von rin einen Baumstamm über seinen Kopf gestemmt hatte. Seitdem glaubte Jack an diese geheime Kraft.
»Weißt du noch das Mantra?«, fragte Miyuki, die im Windschatten des Tempels neben ihm saß.
Jack nickte. »On baishiraman taya sowaka.«
»Bravo.« Miyuki lächelte anerkennend.
Jack, dessen Finger jetzt das richtige Zeichen bildeten, schloss die Augen und wiederholte das Mantra immer wieder. Dabei stellte er sich vor, wie eine Flamme in ihm immer heller wurde, sich in seinem Körper ausbreitete und ihn mit Kraft erfüllte.
Bei seiner ersten Unterweisung in der geheimen Lehre des Clans hatte Soke erklärt, die kuji-in seien eine Verbindung aus Handhaltung, Meditation und Konzentration. »Zusammen setzen diese Elemente das außerordentliche Vermögen des Geistes frei und erschließen die Kraft, die der Ring des Himmels spendet.«
Letzteres war Jack noch nicht gelungen, aber er hielt es immerhin für möglich. Die Kraft des Ki, seiner eigenen geistigen Energie, hatte er bei seinen Meditationsübungen als Samurai schon erfahren. Er wusste deshalb, nach was er strebte. Die Wirkung der Handzeichen entfaltete sich allerdings auf einer viel höheren Ebene und erforderte viel mehr Übung.
Aus dem Nichts spürte er plötzlich eine Hitzewallung und einen Kraftschub. Im nächsten Moment war schon wieder alles vorbei.
»Was ist?«, fragte Miyuki.
Jack öffnete die Augen.
»Du hast dich geschüttelt wie ein Baum im Sturm.«
»Alles in Ordnung«, sagte Jack. Es kribbelte in seinem ganzen Körper.
»Du hast dich zum ersten Mal dem Ring des Himmels geöffnet.«
Soke war näher getreten, um Jacks Fortschritte zu überprüfen. »Am Anfang kann einen das Gefühl verunsichern, aber du wirst lernen, es zu beherrschen. Auch ein kurzer Kontakt nützt schon, wenn er dir im entscheidenden Moment Kraft verleiht.«
Soke bedeutete nun den anderen Schülern, sich vor dem Tempel zu versammeln.
»Konzentriert euch jetzt bitte auf sha, das Heilen. Das dazugehörige Handzeichen geht so.« Er legte die Hände aneinander und verschränkte die Finger. Nur Zeigefinger und Daumen blieben gestreckt. »Von allen Zeichen verdient sha eure Aufmerksamkeit am meisten. Die Fähigkeit zu heilen ist weit wertvoller als die
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