Samurai 6: Der Ring des Feuers (German Edition)
Laune nicht verderben.
Auf einmal hörte er das vertraute Klirren von Eisenringen. Yori kam mit seinem Priesterstock zu ihm heraufgestiegen.
»Das Essen ist bald fertig«, sagte er. »Aber ich habe gar keinen großen Appetit.«
Der Gedanke an den bevorstehenden Kampf war ihm offenbar auf den Magen geschlagen. Jack konnte es ihm nicht verdenken. Er wusste, welche Schrecken sein Freund in der Schlacht von Osaka erlebt hatte. Die Erinnerung an all die Leichen, unter denen er sich hatte verstecken müssen, um nicht getötet zu werden, verursachte Yori immer noch Albträume. Unter anderem deswegen war er Mönch geworden und nicht Samurai geblieben.
Jack legte ihm beruhigend den Arm um die Schulter. »Wenn es so weit ist, steigst du als Späher auf den Wachturm und bleibst dort oben. Aber wenn die Banditen unsere Verteidigung durchbrechen, kommst du zu mir. Ich verspreche dir, ich werde nicht zulassen, dass dir auch nur ein Haar gekrümmt wird.«
Yori machte ein tapferes Gesicht. »Ich komme schon zurecht«, erwiderte er. »Die anderen haben auch Angst vor morgen. Aber ich als Mönch muss vor den Bauern stark sein. Sie erwarten, dass ich ihnen mit meinem Glauben Mut mache.«
»Das gelingt dir auch bestimmt«, sagte Jack. »Ohne deinen Rat hätte ich das alles hier nicht geschafft.«
Yori verbeugte sich bescheiden.
Sie blickten über die zugefrorenen Reisfelder, während die letzten Strahlen der Sonne verschwanden und der Himmel sich allmählich mit Sternen füllte. Unten am Graben sahen sie Miyuki knien.
»Was macht sie da?«, fragte Yori.
»Sie sucht wahrscheinlich nach Schwachstellen und Lücken.« Jack bewunderte Miyuki für ihren rastlosen Einsatz. »Sie ist den Graben heute Abend noch einmal in seiner ganzen Länge abgegangen.«
»Schon beruhigend zu wissen, dass wir einen Ninja an unserer Seite haben«, sagte Yori unvermittelt.
»Ich wünschte, die anderen sähen das auch so«, erwiderte Jack.
»Ich glaube, sie tun es.« Yori blickte zur Brücke hinüber. »Ihr Stolz als Samurai verbietet ihnen nur, es zuzugeben.«
Plötzlich fing es an zu schneien.
»Da braut sich ein Unwetter zusammen.« Ein eisiger Wind blies über die Ebene und Yori schlang schützend die Arme um die Brust.
Jack hob den Kopf. Dunkle Wolken verdeckten die Sterne, einen nach dem anderen. Der Mond war nur noch eine hauchdünne, kaum sichtbare Sichel. Morgen würde man ihn überhaupt nicht mehr sehen.
41
Angst
Am nächsten Tag lag Schnee über der ganzen Ebene, eine unberührte, kalte Decke, die alle Geräusche dämpfte und die Welt ihrer Konturen beraubte. Das Dorf am Fuß des Gebirges lag wie eine Insel in einem Meer von Weiß. Bauern und Samurai wachten über das menschenleere Land. Doch für beide war unvorstellbar, dass Tamagashi sich in wenigen Stunden mit Eintritt des Neumonds in ein blutiges Schlachtfeld verwandeln würde.
Auf Hayatos Vorschlag wechselten sich die Wachen ab, sodass alle genügend Zeit zum Ausruhen hatten, bevor es losging. Die Stellungen waren mit Bauern bemannt, ein Samurai patrouillierte durch das Dorf, bereit, jederzeit Alarm zu schlagen. Doch bisher war alles ruhig geblieben.
Jack beendete gerade seinen Rundgang, da hörte er ein Klirren. Saburo kam, um ihn abzulösen. Er trug bereits seine komplette Rüstung – Brustpanzer und Schurz aus rot lackiertem Leder, braungolden verzierte Beinschützer und schwere Stulpenhandschuhe. An seinen Schultern hingen als Schutz für den Oberkörper rechteckige blaue Polster, auf seinem Kopf saß ein bronzebeschlagener Helm mit geschwungenen Hörnern. Vervollständigt wurde der Aufzug durch die menp ō , eine furchterregende metallene Halbmaske mit spitz zulaufenden Zähnen und Hakennase, die das Gesicht des Trägers schützen und zugleich den Gegner einschüchtern sollte.
Eingezwängt in die verschiedenen Lagen der Rüstung, stapfte Saburo steifbeinig durch den Schnee.
»Du wirst unter dem Gewicht deiner Rüstung noch zusammenbrechen!«, rief Jack und betrachtete ihn staunend.
»Ich will eben kein Risiko eingehen!«, erwiderte Saburo, von dem nur die Augen und die buschigen schwarzen Augenbrauen zu sehen waren. Die Maske dämpfte seine Stimme ein wenig. »Nicht nach dem, was letztes Mal passiert ist.«
Jack nickte. »Vorsicht ist besser als Nachsicht.« Er wusste aus eigener Erfahrung, wie schmerzhaft eine Pfeilwunde sein konnte, und hatte Verständnis für Saburos Maßnahmen. Ihm selbst, der die Technik der beiden Himmel beherrschte, war allerdings die
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