Sanctum
Fieber sei kuriert.« Sie goss ihm einen Becher Wasser ein und drückte ihm diesen in die Hand. »Trinkt das, Monsieur. Ich gehe nachsehen, ob ich vielleicht noch einen Brief oder eine Notiz finde.«
»Gut, gut.« Während Jean die Unterseite des bestickten Baldachins betrachtete, schweiften seine Gedanken ab und lösten sich vom Comte.
Er sah Gregorias Gesicht vor sich und vermisste sie unglaublich. Ob sie auch an ihn dachte? Mehr als einen Monat befand er sich nun schon auf Reisen und nicht eine Nachricht hatte er ihr gesandt. Nicht senden können.
Darüber schlief er ein und verfiel erneut in einen wirren Traum, in dem er durch einen dichten Wald hetzte. Seine Finger, die Äste zur Seite bogen, waren lang und gekrümmt und mit langen Nägeln versehen. Vor ihm tauchte eine junge Frau auf, eine Pilzsammlerin, wie er an dem Körbchen neben ihr sah, die mit dem Rücken zu ihm am Boden kauerte. Er hörte sich selbst verlangend knurren, schon im nächsten Moment sprang er sie an und biss ihr von hinten in den weißen Hals. Ihr Blut sprühte in seinen Mund, und er stöhnte glückselig auf. Endlich kein trockener Fraß mehr, sondern warmes, frisches Fleisch!
Die Frau schrie – und Jean erkannte Judiths Stimme. Erschrocken löste er seine Zähne aus ihrem Hals und machte zwei Schritte zurück. Judith hielt sich die Wunde, wandte sich um und starrte ihn an. Sie schrie und schrie und schrie …
Jean schreckte aus seinem Traum und fühlte den Schweiß auf seinem Gesicht. Er hatte den metallischen Geschmack von Blut im Mund, seine Zunge schmerzte. Er musste sich vor Aufregung selbst darauf gebissen haben.
Er richtete sich auf und sah sich keuchend um. Er lag noch immer im Bett, der Wald war verschwunden, von Judith fehlte jede Spur – aber die Schreie hielten an! Ein Schuss krachte.
»Was geht hier vor?« Er sprang aus dem Bett und sah aus dem Fenster. Er konnte den Stall erkennen, in dem die drei Burschen lebten. Die kleinen Fenster waren hell erleuchtet; plötzlich spritzte eine dunkle Flüssigkeit von innen dagegen und der Schrei verstummte.
Jean musste nicht zweimal überlegen, was sich im Inneren des kleinen Gebäudes abspielte. Er griff seine Muskete, schob sich die Pistolen in den Gürtel und klemmte den Silberdolch auf den Rücken. »Judith!« So rasch es ging zwängte er seine Füße in die Stiefel, die ihm enger als gewöhnlich vorkamen, danach rannte er aus dem Zimmer, die breite Treppe hinunter in die dunkle Eingangshalle. »Judith, wo steckst du?«
Die Gestalt, die geisterhaft im halb geöffneten Portal stand, sah er beinahe zu spät.
»Bon nuit, mein lieber Chastel«, sagte der Comte, der sich eines der weißen Abdecktücher umgeworfen hatte. Die halblangen brünetten Haare hingen offen herab, seine Arme und Finger, seine Brust, sein Mund glitzerten vom frischen Blut. Es verlieh dem ansprechenden, hochmütigen Gesicht etwas Furchtbares, Erschreckendes. »Ich war überrascht zu hören, dass ich dich hier finde, in meinem Schloss und gänzlich ungebeten! Ich vermutete dich immer noch in Rom. Wie hast du mich verfolgen können?«
Jean riss die Muskete hoch.
»Wenn du jetzt abdrückst, verspreche ich dir, dass du das Kind der kleinen Florence niemals findest. Es wird elend im Wald verhungern«, sagte er mit einem Lächeln. »Ich habe es gut versteckt, Chastel. Irgendwo in den tausend Morgen Wald. Selbst du könntest es nicht aufspüren.«
»Was für ein Glück, dass du den Mund zum Sprechen brauchst.« Jeans Zeigefinger zuckte, er drückte ab und jagte dem Comte die Kugel knapp über der Kniescheibe in den Oberschenkel.
Aufschreiend brach der Mann zusammen und wühlte sofort mit beiden Händen in dem Einschussloch nach der Silberkugel. Das Tuch fiel von ihm ab und offenbarte den nackten Menschen darunter, unter dessen Haut es zuckte; leises Knacken und Knistern erklang.
»Nein, ich werde dich nicht töten«, sprach Jean und näherte sich. »Nicht bevor ich weiß, wo sich das Kind befindet, Bestie. Und wo ist Judith?« Er schoss die zweite Kugel in die rechte Schulter des Mannes, der durch den Einschlag nach hinten geworfen wurde. Achtlos schleuderte Jean die Muskete weg und zog seine erste Pistole. »Ich weiß, dass du viel verträgst, also muss ich nicht zu vorsichtig sein.«
Der Comte fauchte und verwandelte sich in die Halbform aus Mensch und Bestie, um seine Vorteile gegenüber dem Gegner auszuspielen. Erste dünne Rauchfäden stiegen aus den Löchern: Das Silber zersetzte sein Fleisch. Die
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