Sanctum
kalt um die Bäume, als wollte er die Menschen aus seinem Reich hinaustreiben.
»Versprich dir nicht zu viel davon«, warnte Gregoria. »Keiner konnte sie richtig deuten.«
Was folgte, war der immer gleiche Ablauf der letzten Nächte: Die Jäger bauten das große Zelt auf, breiteten Tannenzweige auf dem fest getrampelten Schnee aus, schmolzen Schnee, um Tee zu kochen. Ein karges Mahl wurde über den Flammen bereitet, danach wickelten sich alle in dicke Decken und versuchten, etwas Schlaf zu bekommen; für die beiden Frauen war mit einer Zeltplane eine eigene Kabine abgetrennt worden.
Gregoria lag wie immer lange wach und lauschte auf die Geräusche der Nacht. Sie hörte das Ächzen und Knarren der Bäume, das Rauschen des Windes in den Ästen und Zweigen, in dem sie ein undeutliches Flüstern zu vernehmen meinte.
Um sich Mut zu machen und abzulenken, dachte sie an die ersten Rettungen. Ihre Seraphim hatten drei Wandelwesen an verschiedenen Orten in Italien aufgestöbert und sie mit Sanctum geheilt. Schöne erste Erfolge, an die sie anknüpfen wollte.
Kurz bevor sie einschlief, erklang in der Ferne plötzlich vielstimmiges Bellen. Es steckte voller Wut und Tobsucht und wurde von den Jagdhunden ihrer Begleiter ebenso erwidert.
»Wölfe!« Gregoria schälte sich aus den Decken, auch Sarai war erwacht. Sie gingen zu den Jägern, von denen sich jedoch keiner rühren wollte. Selbst die beiden, die für die erste Wache eingeteilt waren, hielten ihre Musketen ohne Anspannung in den Händen.
»Keine Angst, Madame«, sagte derjenige, der auf den Namen Bluche hörte. »Das sind keine Wölfe. Es klingt nach einer Hundemeute, vermutlich ist es die andere Jagdgruppe. Laut Karte müssten wir morgen zu ihnen stoßen.«
Das Bellen näherte sich.
Und zwar außergewöhnlich schnell.
»Seid Ihr sicher, Monsieur?« Sarai hatte ihre beiden Pistolen im Gürtel und ihre Muskete mit dem Silberdolch in den Händen; Gregoria hielt ebenfalls eine Pistole. Die Hunde vor dem Zelt sprangen wie irr auf und nieder und zerrten an ihren Leinen.
Dem Jäger wurde die Situation nun auch zu unheimlich. »Ihr habt Recht. Ich hole die anderen.« Er weckte die übrigen Männer, während das Kläffen immer näher kam.
Einer der Männer löste die Leinen ihrer Hunde; sie stürzten sich sofort in die Dunkelheit des Waldes und waren schon nach wenigen Sprüngen nicht mehr zu sehen. Es dauerte nicht lange und man hörte, wie ein Kampf zwischen den beiden Meuten entbrannte. Knurren und Heulen, Winseln und Bellen vermischten sich.
Inzwischen hatten sich alle Männer bewaffnet; keiner glaubte mehr daran, dass es sich um die zweite Jagdgruppe handelte.
»Es ist die Tollwut.« Bluche kniete sich neben den Eingang, schob die Zeltbahn zur Seite und zielte in die Dunkelheit. »Oder der Hunger macht sie verrückt.«
Sarai sah viele gedrungene Schatten zwischen den Stämmen hin und her huschen. »Die fremden Hunde greifen das Zelt von vorn an. Geht zurück, Madame Montclair«, empfahl sie und winkte noch mehr Jäger zu sich.
In diesem Moment brach wie aus dem Nichts ein gelblicher, kalbgroßer Hund unter der rechten Plane durch und stürzte sich auf den ersten Mann, den er zu fassen bekam. Es war ein kräftiger Mastiff, der sein Opfer einfach auf den Boden drückte und die Zähne so rasch in die Kehle des Überraschten schlug, dass keine Zeit für Gegenwehr blieb; das Blut spritzte auf die Umstehenden. Der Hund ließ sofort ab und schnappte nach dem Bein des Nächsten.
Zwei der Jäger wandten sich um, schrien und stachen mit den Musketenläufen auf den Mastiff ein, der sich um die Hiebe zunächst gar nicht kümmerte, sondern mit einem gewaltigen Ruck einen Fleischfetzen aus dem Oberschenkel seines nächsten Opfers riss.
Gregoria erkannte das Tier. Es war Surtout, der Mastiff des toten Antoine, der sich offensichtlich zum Anführer der nun herrenlosen Hunde aufgeschwungen hatte. Sie legte auf ihn an und schoss, verfehlte den umherspringenden und wütenden Hund jedoch.
Die Musketen der Jäger, die am Eingang standen, krachten los, vereinzeltes Jaulen erklang – doch dann fegte ein Wirbelsturm aus Fell und gebleckten Zähnen ins Zelt.
Gregoria wurde angesprungen und umgeworfen, sie roch den stinkenden Atem eines Hundes, sah spitze Reißzähne vor ihrem Gesicht zuschnappen, die aber jäh nach hinten gerissen wurden. Sarai stand plötzlich über ihr und schlug mit ihrer Muskete nach den Tieren; am ihrem langen Silberbajonett haftete bereits Blut. »Weg
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