Sanctum
Menschen sollen aus freien Stücken zu Gott finden, nicht aus Angst. Und niemand, niemand wird diese Bestien kontrollieren können!«
»Da stimmen wir überein. Aus diesem Grund hat sich eine Gruppe gebildet, die Rotonda und die Zelanti, die Jesuitenfreunde, stürzen möchte. Wir arbeiten schon sehr lange an diesem Plan, und Euer Erscheinen hat uns neuen Auftrieb gegeben. Ihr seid unser Gottesgeschenk, Äbtissin!« Lentolo legte seine Hand auf ihren Handrücken. »Wir finden Euer Mündel, treiben ihr die Bestie aus dem Leib und überführen mit Eurer und ihrer Aussage alle, die an dieser unglaublichen Verschwörung beteiligt sind. Der Heilige Vater mag ein Freund der Jesuiten sein, doch gegen solch massive Anschuldigungen wird er sie nicht mehr in Schutz nehmen können.«
»Wann fangen wir an?«
Lentolo lachte. »Euer Eifer in allen Ehren, Äbtissin, doch es bedarf einiger Vorbereitung. Bei aller Eile, die geboten ist, müssen wir sorgsam und umsichtig vorgehen.«
»Was bedeutet das?« Gregoria fühlte sich wie Georg der Drachentöter, dem man das Untier gezeigt hatte und den man gleich darauf bat, noch ein wenig zu warten, obwohl die Jungfrau bereits in seinen Klauen hing.
»Es geht darum, eine Gemeinschaft aufzubauen, in der es nur Menschen gibt, denen wir vertrauen können. Und in diesem Fall – damit wir sicher sein können, dass kein Jesuit den Fuß in unsere Tür bekommt – soll es eine Gemeinschaft sein, die nur aus Frauen besteht.«
»Das ergibt Sinn.« Gregoria dachte an ihr Kloster, das sie eingestürzt und verbrannt zurückgelassen hatte, und die unschuldigen Seelen, die dort ermordet worden waren. »Meine Schwestern hätten sich sicherlich sofort angeschlossen, aber sie starben durch die Schuld des Legatus, wie Ihr wisst.«
Lentolo sah ihr fest in die Augen. »Was wäre, wenn Ihr mehr als ein neues Kloster bekämt?«
»Ich verstehe nicht …«
»Gefiele Euch die Vorstellung, an der Spitze eines Ordens zu stehen? Seid Ihr stark genug, das Herz zu sein, das die Schwesternschaft vom Blute Christi zum Leben erweckt?« Er sagte es, als habe er seine Worte seit vielen, vielen Wochen und Monaten vorbereitet.
Wieder bekam Gregoria das Gefühl, ein Rädchen in einem gewaltigen Getriebe zu sein. Aber ein wichtiges Rädchen. »Ich? Das ist nicht Euer Ernst!« Sie richtete sich auf.
»Doch, ist es. Ihr seid die Äbtissin eines Klosters gewesen, Ihr besitzt Geist und Bildung. Ihr seid damit vertraut, wie man Menschen führt und Abläufe organisiert. Aber was am wichtigsten ist: Ihr habt Euren Mut und Eure unerschütterliche Liebe zu unserem Herrn bewiesen, als Ihr nach Rom gekommen seid.« Er sah sie fest an. »Zudem bleibt uns keine Wahl. Rotonda hat seine Augen und Ohren überall, die Zelanti haben ein Netzwerk gewoben, durch dessen Maschen kaum etwas schlüpft. Außer einer beherzten Frau, wie Ihr es seid, Äbtissin.«
Gregoria setzte zu einer Erwiderung an, doch Lentolo hob die Hand. »Lasst die Vorbereitungen unsere Sorge sein, Äbtissin. Wir haben nur auf den Tag gewartet, da uns Gott jemand wie Euch sendet.« Er stand auf und reichte ihr die Hand. »Werdet zur Gründerin des Ordens und befreit mit seiner Hilfe Euer Mündel. Bedenkt, was auf dem Spiel steht.« Lentolo setzte seinen Hut auf, rückte die Krempe zurecht und ging zur Tür. »Vergesst nicht, dass Ihr bereits in Gefahr schwebt. Francesco wird bald erfahren, wo Ihr seid. Ich habe Männer in der Nähe postiert, die Euch vorerst schützen können. In drei Tagen werde ich Euch wieder aufsuchen und Eure Zustimmung entgegennehmen. Danach werdet Ihr unseren Freund kennen lernen.« Er öffnete die Tür und verschwand.
Gregoria schloss hinter ihm ab und ging auf den Balkon, um ihm nachzusehen. Doch Lentolo beherrschte es perfekt, in der Menge zu verschwinden. Sie sah nicht einmal mehr seinen Hut.
Sie kehrte in ihre Unterkunft zurück, setzte sich dem kleinen Kruzifix gegenüber und starrte auf den Heiland. Mechanisch bewegten ihre Finger die Perlen des Rosenkranzes, und ihre Lippen beteten tonlos das Vaterunser und das Ave Maria, wieder und wieder, ein stummes Flehen um Erleuchtung und Hilfe.
Plötzlich verharrte sie, legte den Rosenkranz auf den Tisch.
Gregoria hatte einen Entschluss gefasst.
19. September 1767, Italien, Rom
Jean war glücklich und erleichtert, sein Ziel endlich erreicht zu haben. Die letzten Wochen hatten ihm viel Kraft abverlangt, jeder Eilbote wäre stolz auf die halsbrecherisch schnelle Reise durch Frankreich, nach
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