Sanft kommt der Tod
wir es hinter uns. Sie haben wirklich das Talent, Opfern das Gefühl zu geben, sie wären die Schuldigen.«
Sie stapfte ins Wohnzimmer, wo sie sich, ähnlich wie die schmollende Melodie, in einen Sessel fallen ließ. »Was wollen Sie?«
»Wir haben Grund zu der Annahme, dass vor der Durchsuchung Ihrer Wohnung etwas von hier entfernt wurde, was für die Ermittlungen eventuell bedeutsam ist.«
»Das ist einfach lächerlich. Es wurde nichts aus der Wohnung entfernt, und nichts, was je hier in der Wohnung war, kann für Ihre Ermittlungen bedeutsam sein.«
»Ihre Tochter hat ihr Tagebuch aus der Wohnung geschafft.«
»Wie bitte?« Allika richtete sich auf und in ihrer Stimme lag ein Hauch von Angst. »Was hat Rayleens Tagebuch mit alledem zu tun?«
»Sie hat es vor der Durchsuchung aus dem Haus geschafft, inzwischen aber wieder in ihren Besitz gebracht. Wissen Sie, wo es ist?«
»Nein, das weiß ich nicht.«
»Haben Sie es gelesen?«
»Nein, habe ich nicht. Hier in diesem Haus respektieren wir die Privatsphäre der jeweils anderen.«
»Wir müssen das Tagebuch sehen, Mrs Straffo.«
»Was ist nur mit Ihnen los? Wie können Sie ein Kind so grässlicher Dinge bezichtigen?«
»Ich habe Rayleen nicht beschuldigt. Was hat sie Ihrer Meinung nach getan? Wozu, glauben Sie, dass sie fähig ist?« Eve beugte sich vor. »Was macht Sie derart krank, was raubt Ihnen nächtelang den Schlaf, was macht Ihnen solche Angst?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Sie strich mit den Händen über ihren Morgenrock. »Hören Sie auf. Hören Sie endlich auf.«
»Ich werde dafür sorgen, dass es aufhört. Ich werde dafür sorgen, dass sie aufhört. Sie wissen, dass es so nicht weitergehen kann.«
»Sie müssen gehen. Ich möchte, dass Sie auf der Stelle gehen.«
Eve zielte entschlossen auf die nächste Schwachstelle. »Warum haben Sie sämtliche Bilder Ihres Sohns versteckt? Warum haben Sie ein Stück von seiner Decke, seinen kleinen Stoffhund, all die Dinge von ihm versteckt? Warum, Allika?«
»Er war mein Baby. Er war mein kleiner Junge.« Jetzt brachen sich die Tränen Bahn.
»Aber Sie haben keine Fotos Ihres Babys, keine sichtbaren Erinnerungen an Ihren kleinen Jungen irgendwo hier in der Wohnung aufgestellt. Warum nicht?«
»Weil es schmerzlich ist. Weil es ...«
»... Rayleen aus der Fassung bringt. Weil sie es nicht will, nicht wahr? Weil sie nicht will, dass Sie oder ihr Vater Bilder eines anderen Kindes sehen. Weil es um sie gehen muss, um sie allein. Weil es ihr nie gefallen hat, die Aufmerksamkeit ihrer Eltern mit irgendwem zu teilen.«
»Es ist vollkommen natürlich, das ein erstgeborenes Kind eifersüchtig auf ein neues Baby ist. Dass es Zeit braucht, um sich daran zu gewöhnen. Das ist normale Rivalität, wie es sie unter Geschwistern immer wieder gibt.«
»Aber es war mehr als das, nicht wahr? Und dann, an jenem Weihnachtsmorgen, hat sie schließlich etwas unternommen. Weshalb hätte sie all das schöne Spielzeug mit ihm teilen sollen? Weshalb hätte er weiter einen Teil von Ihrer Zeit beanspruchen sollen, obwohl sie zuerst da war. Sie hat ihn aus dem Bett geholt und zur Treppe geführt, nicht wahr?«
»Es war ein Unfall.« Allika warf sich die Hände vors Gesicht und wiegte sich unglücklich hin und her. »Es war ein Unfall. Sie hat geschlafen. Wir alle haben geschlafen. Oh Gott, bitte, tun Sie mir das nicht an.«
»Sie hat nicht geschlafen. Sie wissen, dass sie nicht geschlafen hat.«
»Es war keine Absicht... es kann keine Absicht gewesen sein ... bitte, Gott.«
»Erzählen Sie mir, was an dem Morgen geschehen ist, Allika.«
»Es war so, wie ich gesagt habe. Wir haben alle geschlafen, alle.« Jetzt ließ sie die Hände wieder sinken und sah Eve aus trüben Augen an.
»Wie lange können Sie es noch für sich behalten, ohne daran zu zerbrechen? Wie lange können Sie es noch mit Pillen und Ablenkung verdrängen? Wie lange können Sie noch so tun, als wäre nichts geschehen? Bis zum nächsten Mr Williams?«
»Nein. Nein. Das war ein einmaliger Ausrutscher. So etwas kommt nicht noch einmal vor.«
»Allika, Sie wissen selbst, dass Sie nicht damit leben können. Sie müssen es mir sagen. Was hat sie Ihrem kleinen Jungen, Ihrem Baby angetan? Erzählen Sie es mir.«
»Sie war damals erst sieben.«
Peabody erkannte, dass Allikas Schutzschild einen Riss bekommen hatte, ging zu ihr hinüber und nahm auf der Sessellehne Platz. »Sie sind ihre Mutter und Sie wollen sie
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