Sanft kommt der Tod
vor Landminen wimmelt, und das ohne solide Grundlage oder einen handfesten Beweis.«
»Auch das sehe ich anders, Sir. Die Verdächtige ...«
»Das Kind«, korrigierte er.
»Die Verdächtige ist minderjährig. Aber das schließt nicht automatisch aus, dass sie fähig ist zu morden. Es ist schon öfter vorgekommen, dass Kinder töten. Und zwar bösartig, mit Vorsatz und sogar mit Freude.«
Whitney legte seine Hände auf der Schreibtischplatte ab. »Dieses Mädchen ist die Tochter eines der prominentesten Strafverteidiger der Stadt. Sie stammt aus einem privilegierten Elternhaus, genießt eine hervorragende Ausbildung und war, Ihrem eigenen Bericht zufolge, niemals in irgendeine kriminelle Handlung oder gar ein Gewaltverbrechen involviert. Sie war auch nie wegen emotionaler oder mentaler Probleme in Behandlung. Dr. Mira?«
»Es kommt vor, dass Kinder Gewalttaten verüben«, setzte die Psychologin an. »Und auch wenn es natürlich Fälle gibt, in denen Kinder dieses Alters oder sogar noch jüngere Kinder töten, sind dabei meistens andere Kinder mit im Spiel. Diesen Taten gehen meistens kleinere Gewaltakte, zum Beispiel an Tieren, voraus. Rayleen Straffos Profil weist auf keine derartige Neigung hin.«
Obwohl Eve damit gerechnet hatte, dass man ihr Knüppel zwischen die Beine werfen würde, war ihr deutlich anzuhören, wie frustriert sie war. »Dann soll ich also die Augen vor den Dingen verschließen, die ich weiß, nur weil ihr Vater reich ist, weil sie super Noten in der Schule hat und keine kleinen Hunde tritt.«
»Was wissen Sie denn schon?«, fiel Whitney ihr ins Wort. »Sie wissen, dass dieses Mädchen eine Schule besucht, an der zwei Lehrer ermordet worden sind. Genau wie über hundert andere Kinder auch. Sie wissen, dass seine Mutter zugegeben hat, dass sie eine kurze Affäre mit dem zweiten Opfer hatte. Sonst wissen Sie nichts.«
Eve hielt es nicht mehr auf ihrem Stuhl, und so stand sie wieder auf. »Ich weiß, dass die Verdächtige das erste Opfer gefunden hat, und dass sie in beiden Fällen die Gelegenheit zur Begehung der Taten gehabt hätte. Ich weiß, dass sie sich auch die Mittel dazu hätte besorgen können. Ich habe mit ihrer Tante gesprochen und dabei erfahren, dass die Verdächtige Zugriff auf Rizinussamen hatte und sich zeigen lassen hat, wie man daraus Rizin herstellt. Ich weiß, dass sie tatsächlich ein Tagebuch hat, das sie vor der Durchsuchung der Wohnung ihrer Eltern aus dem Haus geschmuggelt und einer Freundin zur Verwahrung gegeben hat.«
»Haben Sie dieses Tagebuch?«
»Nein. Ich glaube, die Verdächtige hat es versteckt oder zerstört oder vielleicht auch einfach bei sich. Sie hat es aus dem Haus geschafft, weil es sie belasten kann.«
»Eve, jede Menge junger Mädchen schreiben Tagebuch und betrachten es als ihr privates Heiligtum«, setzte Mira an.
»Ein junges Mädchen ist sie nur dem Alter nach. Ich habe es ihr angesehen. Ich weiß, was sie in Wahrheit ist. Sie wollen es nicht sehen«, wandte sie sich wieder dem Commander zu. »Die Menschen wollen nicht ein Kind anblicken, das dem Alter und dem Aussehen nach die Personifizierung der Unschuld ist, und das Böse sehen. Aber genau das ist es, was sie ist.«
»Auch wenn Sie Ihre Meinung voller Leidenschaft vertreten, ist sie noch kein Beweis.«
»Wenn Sie zehn oder auch nur fünf Jahre älter wäre, würden Sie meine Meinung nicht in Frage stellen. Aber wenn Sie schon meinem Instinkt, meinem Intellekt und meinen Fähigkeiten als Ermittlerin nicht trauen, lassen Sie mich noch etwas anderes anführen. Ich selbst habe bereits mit acht einen Menschen umgebracht.«
»Das wissen wir, Eve«, antwortete Mira sanft.
»Denken Sie vielleicht, ich sähe mich selbst in diesem Kind? Ich würde irgendetwas auf sie übertragen?«
»Ich weiß, dass Sie Probleme hatten, als wir zu Anfang der Ermittlungen miteinander gesprochen haben. Sie waren wegen einer privaten Angelegenheit unglücklich und sehr gestresst.«
»Das hat nichts mit diesem Fall zu tun. Vielleicht hat es mich kurzfristig abgelenkt, was bestimmt nicht richtig war, aber es hatte keinen Einfluss auf die Schlüsse, die ich in dem Fall gezogen habe. Und jetzt wollen Sie mich wegen dieses Schwachsinns daran hindern, weiter meiner Arbeit nachzugehen ...«
»Vorsicht, Lieutenant«, warnte Whitney.
Doch jetzt hatte sie die Nase voll. »Genau das ist es, worauf sie sich verlässt. Dass wir alle leisetreten. Dass wir sie nicht genauer unter die Lupe nehmen, weil sie ein nettes
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