Sanft sollst du brennen
langjähriger Angestellter vernichtet. All das bedeutete ihm nichts. Mit Menschen hatte er nichts am Hut, und Mitgefühl war ihm fremd.
Das Einzige, was je für Compton MacKenna gezählt hatte, war Geld.
Er hatte zwar keine kriminellen Handlungen begangen, aber was er getan hatte, war unmoralisch. Und er schien auch noch stolz darauf gewesen zu sein. Hatte er ihr diese Sammlung seiner Eroberungen hinterlassen, um sie zu beeindrucken?
Du lieber Gott, und er hatte tatsächlich geglaubt, sie wäre wie er.
Die Lektüre seiner Finanzgeschichte bestärkte sie in ihrer ursprünglichen Entscheidung. Sie würde keinen einzigen Dollar seines Geldes für sich, ihre Familie, ihre Firma oder ihre Zukunft ausgeben.
Compton MacKenna war ein egoistischer, grausamer Mann. Sie war nicht wie er, und das wollte sie beweisen. Sie würde sich überlegen, was sie mit dem Geld machen wollte, und Compton sollte sich im Grab umdrehen.
Sie legte den Aktenordner beiseite und öffnete den Umschlag. Sofort besserte sich ihre Laune. Zehn Schwarz-Weiß-Fotos fielen heraus. Ihr Vater war ein hübscher Junge gewesen, wie er in seiner Schuluniform strahlend lächelte.
Er ist schon ein privilegiertes Kind gewesen, dachte sie, als sie ein Foto betrachtete, auf dem er in Polokleidung stolz vor seinem Pferd stand.
Auf einem anderen Foto war er etwa vier oder fünf Jahre alt, stand auf dem Rasen und lächelte in die Kamera. Im Hintergrund war ein Haus, nein, kein Haus, ein Schloss. Hatte er dort gewohnt?
Es gab keine Fotos von ihm mit seinen Eltern oder anderen Verwandten, was Kate merkwürdig fand. Sie würde Anderson danach fragen.
Sie steckte gerade das letzte Foto wieder in den Umschlag, als Dylan ans Bett trat.
»Bist du fertig?«, fragte er.
»Beinahe.«
Sie packte den Umschlag und den Ordner in ihre Reisetasche.
Dylan, der die Bettdecke wieder aufs Bett legte, warf ihr einen Blick zu. »Willst du den Aktenordner nicht lieber mit ins Auto nehmen? Dann kannst du ihn durcharbeiten.«
»Das habe ich schon getan.«
»Und? Warst du beeindruckt?«
»Nein.«
Sie schaute noch einmal im Badezimmer nach, um sich zu vergewissern, dass sie auch nichts vergessen hatte, aber Dylan hatte bereits alles aufgeräumt. Sogar die Handtücher hatte er gefaltet.
Sie frühstückten im Hotel, aber keiner von beiden hatte besonders viel Hunger, und sie waren froh, als sie im Auto saßen und nach Silver Springs fuhren.
»Ich muss Anderson anrufen«, sagte sie. »Er soll sich nicht darauf einrichten, dass ich um drei Uhr komme.«
»Vielleicht siehst du ihn doch noch«, erwiderte Dylan. »Es hängt alles davon ab, wie sich die Dinge entwickeln.«
»Wir fahren wieder nach Savannah? Ist das nicht zu gefährlich? Ich warne dich: Wenn ich in den nächsten Tagen irgendwo eine Vase mit Blumen sehe, dann weiß ich nicht, was ich tue. Schließlich kann ich nicht zulassen, dass ich ständig in die Luft gejagt werde. Nein, Dylan, wir können nicht dorthin fahren. Das geht nicht.«
Dylan machte gar nicht erst den Versuch, Kates Tirade zu unterbrechen. Als sie schließlich schwieg, sagte er: »Du musst nicht dorthin fahren. Vielleicht kann er mit den Papieren zu uns kommen.«
»Oh«, sagte Kate. »Wenn du das früher gesagt hättest, hätte ich mich nicht so aufgeregt.« Sie griff hinter ihren Sitz und holte ihre Aktentasche hervor, um zwei Folder herauszunehmen.
»Was ist das?«, fragte Dylan.
»Unterlagen für den Kredit, den meine Mutter aufgenommen hat. Ich möchte sie mir noch einmal anschauen. Die andere Mappe ist von einem der Krankenhäuser. Im letzten Jahr ihres Lebens hat sie dort mehr Zeit verbracht als zu Hause.«
In den nächsten zwanzig Minuten studierte Kate jedes einzelne Dokument, jede Rechnung und jede Quittung, und schließlich verstand sie, was in ihrer Mutter vorgegangen war. Die kleine Versicherungssumme, über die sie verfügt hatte, war aufgebraucht gewesen, und in ihrer Verzweiflung hatte sie alles verpfändet, damit ihre Töchter nicht mit ihren Schulden belastet waren.
Die Krankenhausrechnungen waren astronomisch hoch. Und sie hatte ihre Angst und ihre Sorge ganz alleine getragen, ohne sich jemandem anzuvertrauen.
Tränen strömten Kate über das Gesicht. Rasch wandte sie sich ab, damit Dylan es nicht sah.
»Kate, willst du mir nicht sagen, was los ist?«
»Ich brauche Informationen, und zwar schnell«, entgegnete Kate und putzte sich die Nase. »Glaubst du, ich kann Anderson trauen? Wenn er mein Anwalt werden soll, muss ich wissen,
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