Sanfte Eroberung
die Schuld unserer Freundinnen bezahlt ist und sie außer Gefahr sind. Überdies ist Roslyns Hochzeit am Dienstag in St. George's, das Dinner, das Marcus zu Ehren des Brautpaares gibt, findet am Vorabend statt. Also ist es bloß sinnvoll, wenn ich beides noch hier abwarte. Und nicht zu vergessen, ist der Ausgang meiner Wette mit Lord Claybourne nach wie vor unklar. Die zwei Wochen, auf die wir uns einigten, enden erst am Montag. Gestern konnte er einen Punkt erzielen, weil er einer Mieterin ein neues Heim auf seinem Familienlandsitz in Kent gab, also hat er jetzt neun Punkte, beinahe genug, um zu gewinnen. Doch vielleicht liegt ihm auch nichts an einer Fortsetzung des Wettbewerbs.«
»Und deshalb sorgst du dich? Hegst du Gefühle für ihn und willst das Spiel daher nicht beenden? «
Lily zögerte. »Nun, >Gefühle< ist wohl ein wenig übertrieben. Aber ich gestehe, dass ich ihn sehr anziehend finde. «
Als sie verstummte, betrachtete Tess sie prüfend. »Gibt es etwas, das du mir verschweigst, Lily? Was tat er, dass du dich zu ihm hingezogen fühlst? Hat er dich geküsst?«
Wieder einmal stellte Lily fest, dass Tess sie sehr gut kannte. »Was wir taten, war weit intimer als Küssen. «
»Intimer?«
»Ja, und ... ich habe entdeckt, dass es mir gefiel überaus gut sogar.«
Tess kräuselte die Stirn. »Du hast doch nicht zugelassen, dass er das Bett mit dir teilt, oder? «
»Nein. Ich bin noch Jungfrau. Er wollte nicht weitergehen, bis ich zustimme, ihn zu heiraten. Aber die Wahrheit ist ... ich wollte weitergehen, Tess.« Lilys Stimme war nunmehr ein Flüstern. »Claybourne sagt, dass ich nicht mein Leben lang eine Jungfer bleiben will, und teils hat er Recht. Ich möchte wissen, wie es ist, mit einem Mann vereint zu sein, mit ihm. Ich möchte alles über Leidenschaft und Wonne erfahren. «
»Ja, ich auch«, seufzte Tess.
Lily sah sie verwundert an. »Du möchtest wissen, wie der Liebesakt ist? «
»Ja, schon seit einiger Zeit. Aber meine Skrupel sorgen dafür, dass ich keusch bleibe. Leider«, fügte sie hinzu. »Ich hätte mich Richard hingeben können, bevor er in den Krieg zog und getötet wurde, aber ich sparte mich für die Ehe auf. Das bedaure ich mehr, als du dir vorstellen kannst, Lily. Ich wünschte, ich hätte unsere gemeinsame Zeit ausgekostet, als ich die Chance dazu hatte.«
Lily legte ihre Hand auf die der Freundin. »Ach, Tess, ich bin grausam, dir gegenüber, die du deinen Verlobten verloren hast, von Leidenschaft und Liebe zu sprechen. Bitte vergib mir meine Gedankenlosigkeit! «
Tess rang sich ein Lächeln ab. »Da ist nichts zu vergeben, meine Teure. Ich habe lange genug getrauert. Zwei Jahre sind inzwischen vergangen, und ich kann mich nicht in meine Trauer und meinen Kummer vergraben. Richard hätte das nicht gewollt. Mir ist klargeworden, dass ich mein Leben weiterführen muss, trotz meines Verlustes. «
»Ja, das musst du«, pflichtete Lily ihr bei. »Und ich vermute, du hast deinen Wunsch, zu heiraten und Kinder zu bekommen, nicht aufgegeben.«
»Nein, ich wünsche mir eines Tages einen Ehemann und Kinder, selbst wenn ich Richard nicht haben kann.« Sie blickte verträumt in die Ferne. »Ich weiß, nicht, ob ich je wieder so lieben kann. Man sagt, die wahre Liebe gebe es nur ein Mal ... « Plötzlich schaute sie wieder zu Lily. »Aber genug von mir! Kommen wir zu deiner Zukunft, Lily. Was wünschst du dir? Weißt du es überhaupt?«
Lily lachte. »Also, wenn ich ganz ehrlich bin ... ich hätte gern Lord Claybourne als meinen Geliebten.«
»Erwägst du nicht, ihn zu heiraten?«, fragte Tess unsicher.
»Nein, aber ich würde durchaus in Betracht ziehen, seine Mätresse zu werden. Schockiere ich dich, Tess? «
»Schockiert bin ich nicht, aber ein solches Verhältnis kann ernste Folgen haben. «
Diesmal war es Lily, die seufzte. »Ich weiß. Es ist unfair, dass Herren so viele Geliebte haben dürfen, wie sie wollen, während die Damen schon durch einen bloßen Hauch von Indiskretion ruiniert werden. «
»Ja, das ist unfair«, bestätigte Tess. »Doch das ist der Lauf der Dinge.«
»Dennoch, wenn ich glaubte, ich könnte eine Affäre geheim halten und einen Skandal vermeiden, würde ich nicht zögern. Und da ich nicht vorhabe, jemals zu heiraten, kann ich ruhig meine Unschuld verlieren.«
»Ja, da magst du recht haben. «
»Eine Affäre mit Claybourne würde nicht lange halten, dafür würde ich sorgen. Ich riskiere nicht, mich in ihn zu verlieben und es möglicherweise nicht
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