Sanfte Eroberung
Claybournes bezaubernde Umarmung nie mehr endete. Doch stärker noch als die physische Wirkung war der emotionale Aufruhr, den er in ihr auslöste. Inzwischen konnte sie sich nicht bloß vorstellen, wie sich wahre Leidenschaft zwischen Mann und Frau anfühlte; zum ersten Mal sehnte sie sich tatsächlich danach.
Halb lachend, halb stöhnend, stützte Lily den Kopf in die Hände. Auf keinen Fall würde sie Fleur und Chantel erzählen, welche Wirkung seiner Lordschaft Kuss auf sie gehabt hatte! Die beiden würden ihm womöglich noch weitere Punkte für sein Können anrechnen!
Und wenngleich sein mühelos errungener Erfolg Lily abermals mit diesem Spiel hadern ließ, war sie jetzt erst recht entschlossen, es zu Ende zu bringen. Ihre Schülerinnen brauchten Lord Claybournes Hilfe, wollten sie bei der Soiree nächsten Montag wohlhabende Gönner für sich gewinnen.
Sie musste eben stärker sein, sagte Lily sich, die kaum glaubte, wie schwach sie sich gezeigt hatte. Mit aller Kraft musste sie sich gegen das dringende Verlangen wehren, sich ihm in die Arme zu werfen und von ihm alle Wonnen bescheren zu lassen, die er ihr versprach. Nein, sie würde dem unwiderstehlichen Mann nicht den Triumph gönnen, dass er ihr den Kopf verdrehte!
Und je eher sie ihn davon überzeugte, dass sie nicht die richtige Braut für ihn war, umso schneller entkäme sie seinen betörenden Verführungsversuchen.
Siebtes Kapitel
Die heutigen Zwischenfälle haben mir abermals verdeutlicht, warum ich niemals zu heiraten gedenke.
Lily an Fanny
Lächelnd beobachtete Lily drei ihrer Lieblingsschülerinnen, die sich unter Fannys Anleitung in der feinen Art des verhaltenen Flirtens übten. Lily hatte inzwischen einige der Mieterinnen näher kennengelernt. Diese drei, Ada Shaw, Peg Wallace und Sally Nead, verschrieben sich mit solcher Verve dem Unterricht, dass sie sich ein wenig zusätzliche Unterweisung redlich verdient hatten.
Ada war Schauspielerin mit Hang zu einer übertrieben direkten Redeweise, die Fanny ein wenig einzudämmen versuchte. Peg hingegen war Balletttänzerin, unvorstellbar scheu und musste mühsam überredet werden, sich auch nur auf das harmloseste Geplänkel mit einem feinen Herren einzulassen. Und Sally, ebenfalls Schauspielerin, war ein entzückend keckes Wesen - von eher schlichtem Äußeren, aber lebhaft und klug genug, um Aufmerksamkeit zu erregen.
Sally hatte, wie Fanny glaubte, die größten Chancen, gleich am Montag einen wohlhabenden Verehrer zu erobern.
Lily hoffte inständig, sie alle könnten ihre Lebensumstände deutlich verbessern. Um ihretwillen wünschte sie sich, dass die Soiree zu einem Erfolg wurde. Seit sie diese jungen Frauen kannte, sah sie ihre eigenen Probleme mit anderen Augen. Und für die Mädchen war Lily bereit, den hartnäckigen Lord Claybourne und sein beängstigendes Werben zu erdulden.
Als die Unterrichtsstunde endete, erhoben Ada und Sally sich und verließen aufgeregt plaudernd den Salon .
Peg aber blieb noch zögernd zurück und sagte schließlich zu Lily: »Danke nochmals, dass Sie uns die Kleider gekauft haben, Miss Loring. Ich habe noch nie so etwas Wunderschönes besessen! «
Angesichts der schlichten Dankbarkeit des Mädchens ging Lily beinahe das Herz über. Sie selbst scherte sich nicht sonderlich darum, was sie trug, aber die blaue Spitzenkombination, die Fannys Schneiderin für Peg gefertigt hatte, betonte die zarte Gestalt der blonden jungen Frau aufs Trefflichste.
»Sie sehen immer liebreizend aus, Miss Wallace, doch in Ihrem neuen Kostüm sind Sie fürwahr atemberaubend.«
Peg wurde rot und machte verlegen einen Knicks, bevor sie den anderen hinausfolgte.
Lily sah ihr nach und musste an sich halten, um nicht zu seufzen. Sie alle sprachen sich mit Familiennamen an, um die Selbstachtung der Mädchen zu heben, denn daran mangelte es ihnen allen bitterlich. Peg hatte als Zofe gearbeitet, ehe sie als Tänzerin an der Royal Opera begann, und sie tat sich schwer damit, ihre erlernte Unterwürfigkeit abzulegen. Und wenngleich ihre Schönheit wahrhaftig beachtlich war, half modisch-elegante Kleidung dennoch sehr, das Bild der begehrenswerten Mätresse zu vervollkommnen.
Lily hatte alle zweiundzwanzig Schülerinnen mit neuen Kleidern ausstatten lassen, und derzeit arbeitete Fannys Schneiderin unermüdlich an den Abendroben für die Soiree am Montag. Heute Morgen hatten alle Mädchen eine letzte Anprobe, so dass die richtigen Konversationsstunden ausfielen. Deshalb gaben
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