Santa Clause - Eine Unglaubliche Geschichte
betreten und wieder zu verlassen, gleichgültig, mit wieviel Schlössern, Vorhängeketten und Alarmvorrichtungen sie gegen unerbetene nächtliche Besucher gesichert sein mochte. Joe sah sich staunend in dem stillen Wohnzimmer um und betrachtete den Festtagsschmuck und den Weihnachtsbaum in der Mitte mit seinen farbigen Lichtern und glänzenden Kugeln. Das Feuer im Kamin war noch nicht ganz erloschen, und er sah die rot- und grüngestreiften Socken, die über der Glut am Kaminsims hingen. Neben einem mit kariertem Stoff bezogenen Sofa stand auf einem kleinen Beistelltisch ein Teller mit Platzchen für Santa Claus bereit. Santa Claus ging zum Baum und legte zwei in rotes und grünes Papier eingewickelte Geschenke darunter. Joe seufzte und sah sich mit stillem Verlangen in einem vollkommen normalen Wohnzimmer um — in einem Heim, in dem sich ein Kind geborgen fühlen konnte. Sein Blick fiel auf ein Foto, das auf dem Beistelltisch stand und einen Mann und eine Frau zeigte, die den Arm um einen kleinen Jungen gelegt hatten. Sie standen am Ufer eines Sees mit glitzerndem blauem Wasser und lächelten vergnügt in die Kamera.
»Ist das der Junge, der hier wohnt?« fragte Joe.
»Ja«, antwortete Santa.
»Und was hast du ihm unter den Baum gelegt?« fragte Joe und betrachtete neugierig die Päckchen, die in rotgrün-gestreiftes Papier eingewickelt waren.
»Eine Angelrute.«
»Warum eine Angelrute?« fragte Joe und sah wieder zum Foto hin.
»Weil er mich in seinem Wunschbrief darum gebeten hat«, antwortete Santa Claus, der seinen Sack wieder zugebunden hatte und sich jetzt ein Plätzchen in dem Mund steckte.
»Soll das heißen, wenn ein Kind dir schreibt . . .«, fragte Joe verwundert und sah ihn ehrfürchtig an, »bekommt es alles, was es will?«
Santa Claus hörte auf zu kauen und sah auf Joe zurück. »Hast du denn nie an mich geschrieben, Joe?« fragte er sanft.
Joe schlug die Augen nieder. »Ich habe nie geglaubt . . .« Er sah wieder hoch und setzte rasch und ein wenig trotzig hinzu: »Ich meine, ich brauchte doch nie etwas. Ich reise ohne Gepäck, verstehst du?« Er schob die Hände in die Taschen, wo sie sich zu Fäusten ballten.
Claus stand einen Moment schweigend da, während die verschiedenartigsten Gefühle auf ihn einstürmten, die er gar nicht alle in Worte fassen und diesem Jungen mitteilen konnte . . . zudem war das kaum der richtige Ort oder der richtige Zeitpunkt, um sich mitzuteilen. Der Junge hatte seinen Stolz. Das war alles, was er besaß, und Santa Claus hütete sich, den Jungen zu verletzen. Statt dessen nahm er die letzten beiden Plätzchen vom Teller und gab eines davon dem Jungen. »Komm, Joe«, sagte er, »wir müssen weiter.« Er schulterte den Sack, und im nächsten Moment standen sie wieder auf dem Dach. So ging es weiter, von einem Landeplatz zum anderen . . .
Cornelia schlief in ihrem großen weichen Bett unter lavendelfarbenen Laken mit weißen Rüschen. Die Müdigkeit war doch stärker gewesen als die Vorfreude auf das Weihnachtsfest. Wie viele Kinder auf der Welt hatte sie stundenlang wach gelegen, weil sie hoffte, einen Blick auf Santa Claus erhaschen zu können. Doch dann hatte sie der Schlaf hinübergetragen ins Traumland . . . wo bereits Weihnachtsmorgen war.
Dann, plötzlich, gab es irgendwo in dem stillen Stadthaus einen dumpfen Knall. Cornelia richtete sich in ihrem Bett auf und saß mit blinzelnden Augen und klopfendem Herzen hellwach in ihren Kissen. Sie warf die Steppdecke beiseite, kletterte aus dem Bett und ging auf Zehenspitzen durch den Korridor auf die Treppe zu, die im weiten Bogen ins Wohnzimmer hinunterführte.
Dort bückte sich Joe hastig, um eine Lampe wieder aufzuheben, die er versehentlich vom Tisch gestoßen hatte, während er sich verwundert in dem riesigen getäfelten Raum umgesehen und den fünf Meter hohen Weihnachtsbaum betrachtet hatte, der in dessen Mitte stand. Dieser Baum war ein wahres Kunstwerk, behängt mit wunderschönen mundgeblasenen Glasfiguren und so viel Engelshaar, daß er einem schimmernden Berg aus Zuckerwatte glich. »He, tut mir leid, Mann«, murmelte Joe, während Santa wieder eines von seinen rot und grün eingewickelten Geschenkpaketen unter den Baum legte. »Ich habe das nicht gewollt . . .«
»Oh!«
Sie drehten sich erschrocken um und entdeckten ein kleines Mädchen, das mit einem zerknitterten Flanellnachthemd und großen, staunenden Augen im Türrahmen stand.
»Bist du es?« flüsterte das Mädchen erstaunt. »Bist
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